Die in der Hölle sind immer die anderen
juristischen Namen, sondern rede immer nur von der Sache, der Geschichte, der Angelegenheit. Das beruhigt die Leute, und dann fangen sie an zu erzählen. Und so war es auch bei Nicolai. Irgendwann räumte er ein, er hätte den Jungen mit dem Dreirad , wie er Florian immer nennt, angefahren . Zu dem Zeitpunkt wußte ich aber schon mehr. Wir haben über den Händler Nicolais blauen Corsa ausfindig gemacht, beschlagnahmt und vom Landeskriminalamt untersuchen lassen. Die Kollegen haben am Kotflügel Farbspuren von Florians Dreirad gefunden, auf dem Beifahrersitz fanden sich Fasern von Florians Hemd und Jacke, die er am Tag seines Verschwindens getragen hat, und die ganze Kiste war immer noch voll mit Nicolais Haaren. Mit all dem habe ich Nicolai konfrontiert, aber er hat hartnäckig geleugnet, mit Florians Verschwinden auch nur das Geringste zu tun zu haben. Er hat zwei Wochen lang nur zugegeben, in einen Unfall mit Florian verwickelt gewesen zu sein.“
„Und warum hat er diesen Unfall nicht bei der Polizei angezeigt?“ fragte Michael. „Geht dieser Nicolai davon aus, daß ein anderer Florian umgebracht hat?“
Schirra hob eine Packung Gauloises in die Höhe. „Darf ich?“
Ich nickte und holte unseren einzigen Aschenbecher aus der Küche.
„Es ist vollkommen egal, wovon Nicolai ausgeht“, sagte Schirra und atmete eine Lunge voll Rauch aus, „die Indizien, die gegen ihn sprechen, sind erdrückend. Er war Besitzer des Opel Corsa, und er war zum Tatzeitpunkt in Saarbrücken. Die Lackspuren an Nicolais Auto stammen von Florians Rad, die Fasern auf der Rückbank von Florians Hemd, die Haare von Nicolais Kopf. Nein, das alles läßt nur einen Schluß zu: Nicolai ist der Täter. Konfrontiert mit diesen Beweisen, hat er natürlich das getan, was jeder Verbrecher tut: Er gibt das zu, was er ohnehin nicht leugnen kann, den Rest streitet er ab. Das hat er zwei Wochen lang gemacht. Danach kam er dann sogar mit einem Alibi für die Tatzeit. Davon hatte ich Ihnen ja damals erzählt, als Sie ein bißchen wütend wurden.“
„Was für ein Alibi?“
„Das haben wir uns auch gefragt. Nun, er behauptet, er hätte am dreizehnten Oktober 1992 mit einem anderen Küchenhelfer vom Partyservice La Carotte Karten gespielt, und zwar den ganzen Tag lang. Dazu legte er uns einen Zettel vor, auf dem ein gewisser Khouraïchi Faye genau das bestätigte.“
„Wer ist denn Khouraïchi Faye?“
„Ein Belgier aus dem Kongo, der damals auch als Küchenhelfer im La Carotte gearbeitet hat.“
„Ist das Alibi hieb- und stichfest?“
Schirra zündete sich wieder eine Zigarette an. „Das Alibi ist vom Tisch.“
„Was heißt das?“
„Das heißt, daß ich mich mit Khouraïchi Faye unterhalten habe. Der Mann ist Mitte dreißig, hat vier Kinder, lebt jetzt in Liège und spricht keine drei Sätze Deutsch. Ich glaube, ich habe Ihnen einmal erzählt, daß meine Mutter aus Lothringen stammte. Ich kann also ein bißchen Französisch. Also habe ich mir Monsieur Faye vorgeknöpft und ihm ausgemalt, wie das ist, wenn man keine Aufenthaltsgenehmigung hat, wie schnell man dann abgeschoben werden kann und so weiter. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, daß er mir einen belgischen Paß präsentieren würde und seine Rechte in der EU sehr wohl kannte. Es stellte sich heraus, daß er über eine gültige Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitsgenehmigung verfügte. Er blieb felsenfest bei seiner Aussage, daß er an dem Tag, an dem Florian getötet wurde, den ganzen Tag mit Nicolai zusammengewesen war.“
„Und was haben Sie dann getan?“ fragte Michael.
„Das sage ich Ihnen, nachdem Sie noch einmal in die Tiefen Ihres Weinkellers hinabgestiegen sind.“
Schirra redete erst weiter, als wieder eine offene Weinflasche und eine zweite Tüte Chips vor ihm auf dem Tisch standen.
„Ich glaubte weder Nicolai noch Faye, aber zwei lange Wochen sah es so aus, als ob Delanque und ich total auf dem Holzweg wären. Und als ob das noch nicht genug gewesen wäre, kam dann noch ein ganz anderer Hammer dazu. Mir wurde nämlich von allerhöchster Stelle mitgeteilt, daß der Mörder weder aus Leipzig noch aus dem Kongo noch aus Belgien stammt.“
Ich sprang auf und sah ihn an. „Was heißt das?“
Schirra inhalierte tief und lehnte sich behaglich in seinem Sessel zurück. Einige Augenblicke blickte er fast träumerisch im Zimmer umher und lächelte dabei.
„Kennen Sie unseren Ministerpräsidenten?“
„Nicht persönlich.“
„Da haben Sie auch
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