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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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fast beleidigt, „bin ich vielleicht niemand? Er hat ein paar Entwürfe von mir gesehen, und sie haben ihm so gut gefallen, daß er mich heranholte.“
    „Wunderbar!“ rief sie und preßte für einen flüchtigen Augenblick seinen Arm an ihren Körper.
    „Noch einmal, mein Liebling“, bat er, „das geht mir so warm durch und durch...“
    „Komm, Desdemona, nur ein Stündchen bleibt für Liebe mir und weltliche Geschäfte in deiner Näh. Der Zeit muß man gehorchen...“
    Sie fuhren beide herum und sahen in Werners grinsendes Gesicht. Er schien ihre heimlichen Zärtlichkeiten bemerkt zu haben, denn seine Othello-Zitate kamen nicht von ungefähr, und er hatte die Verse mit so viel schmalzigem Pathos gesprochen, daß einem davon übel werden konnte.
    „Mach, daß du wegkommst, du Ekel!“ zischte Charlotte.
    „Hallo, Sie junger Hund...“knurrte Helmuth Krönlein und kniff ein Auge zu, als suche er an Werners Kinn die beste Stelle, um ihn auf die Bretter zu legen.
    „Ich an Ihrer Stelle würde mich mit meinem zukünftigen Schwager gut stellen“, sagte Werner unerschüttert; „wie wäre es mit einer kleinen Friedenspfeife?“
    „Die reinste Erpressung von diesem Zigarettenbürscherl!“ murrte Charlottes Freund, aber er zog eine Packung aus der Tasche und schnippte dem jungen Frechdachs eine Zigarette zu. „Und nun schwing dich, Knabe!“
    Die Zigarette zwischen den Lippen, entschwand Werner mit einem lässig eleganten Bühnengruß im Passantenstrom.
    „Ein verrückter Bengel“, sagte Charlotte halb ärgerlich und halb belustigt, „mit seinem Schauspielerfimmel wird es von Tag zu Tag schlimmer. Denk dir, er nimmt seit einem Jahr heimlich Schauspielunterricht. Ich habe es erst vor ein paar Tagen durch einen Zufall herausbekommen...“
    „Was du nicht sagst — und wer zahlt das?“
    „Er selber. Er meldet sich auf jede Zeitungsanzeige, wo man jungen Leuten bei leichter Tätigkeit einen glänzenden Verdienst garantiert... Du kennst doch diese Anzeigen. Stell dir vor, neulich fand ich in seinem Wäschefach doch tatsächlich eine ganze Kollektion mit künstlichen Augen! Ich dachte, mich trifft der Schlag, wie die Dinger mir entgegenrollten.“
    Sie waren in die Nähe der Wohnung gekommen, und Charlotte hatte schon ein paarmal nervös nach rückwärts geschaut.
    „Was gibt es sonst noch für Heimlichkeiten bei euch in der Familie? Euer Wilhelm scheint ja ein richtiger Haustyrann zu sein.“
    „Wenn wir nicht auf der offenen Straße wären, würde ich dir für diese Gemeinheit die Nase abbeißen!“ sagte sie zärtlich erzürnt. Sie sahen sich in die Augen und begannen zu lachen.
    „Also mein Liebling, wo und wann treffen wir uns heute?“
    „Morgen abend um acht auf der alten Brücke.“
    Er spitzte die Lippen zu einem Kuß, den Charlotte auf einen halben Meter Abstand mit geschlossenen Augen entgegennahm und zärtlich erwiderte.
    Daheim saßen schon alle am gedeckten Tisch.
    „Hat es wenigstens geschmeckt?“ fragte Christa ein wenig gekränkt, als sie sich erhoben, ohne auch nur ein Wort über ihre Kochkünste zu verlieren. Sie bekam ein paar satte und zufriedene Knurrtöne zur Antwort, und Wilhelm Ströndle ließ sich mit der Verdauungszigarette auf dem Sofa nieder.
    „Gib mir mal die Familienpapiere, Charlotte!“
    Werner suchte in der äußeren Brusttasche nach einer Zigarette.
    „Gebt einmal die Zeitung und eine Schere her“, befahl er weiter.
    Wilhelm Ströndle. Er schnitt den Aufruf sorgfältig aus, löste die Heftvorrichtung des Briefordners und klemmte den Zeitungsausschnitt als oberstes Blatt in die Familienpapiere. „Auf jeden Fall erledige ich die Geschichte heute abend nach Büroschluß auf der Schreibmaschine. Ob es genügt, wenn ich Deutsch schreibe?“
    „Der Aufruf ist in Deutsch abgefaßt“, meinte Werner, „und so wird wohl im Schatzkanzleramt irgendein Bursche sitzen, der die deutsche Sprache beherrscht. Aber wenn du es wünschst, kann ich zu dir ins Geschäft kommen und den Text, den du aufsetzt, ins Englische übertragen.“
    „Laß nur, ich mache es allein. Im übrigen werde ich den Brüdern schreiben, wie die Dinge auch liegen mögen, sie sollen mir mitteilen, was dieser Aufruf zu bedeuten hat. — Und jetzt wird es Zeit für mich, aufzubrechen. Also Kinder, wir sehen uns abends wieder. Ich komme etwas später als sonst, denn ich werde den Brief gleich auf der Bahnpost aufgeben.“ Er zog seine Börse und legte Geld auf den Tisch. „Besorg für Mama etwas Zungenwurst,

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