Die indische Erbschaft
hemmungslos.“
Der Chef kämpfte einen schweren Kampf mit seinem zwingenden Verlangen nach der zweiten Zigarre und mit den Anordnungen seines Arztes, der ihm erst vor vier Tagen nach einer bösen Herzattacke eindringlich erklärt hatte, daß gerade diese Zigarre sein Tod sein werde. Aber die Zigarren waren stärker als die Furcht. „Wenn ich draufgehe, Ströndle, dann sind Sie an meinem Ende schuld!“ knurrte er und biß einer „Blonden“ die Spitze ab. „Also los!“ sagte er nach der ersten Rauchwolke, „den Reisenden gebe ich Order. Leinke und Buttweis werden abgehängt. Mit denen soll sich die Konkurrenz amüsieren. Zahlungsbefehl, aus, dein treuer Vater, amen. Und die anderen kriegen Binnenbriefe. Termin 1. Februar nächsten Jahres. Wenn sie es mit dem Weihnachtsgeschäft nicht schaffen, dann schaffen sie es nie. — Und hart bleiben, Ströndle, hart wie Kruppstahl, zäh wie Sohlenleder, na, Sie wissen schon!“
„Würden Sie mir das als Aktennotiz schriftlich geben, Herr Vollrath...“sagte Wilhelm Ströndle verkniffen.
Der Chef wuchs wieder einmal auf seinem Stuhl in die Höhe und stieß knurrende Drohlaute aus. Aber dann rutschte er doch wieder zusammen und wurde friedlich: „Also gut, wenn es ohne diese Erpressung nicht geht — Sie kriegen es schriftlich.“ Er drückte auf den Knopf, der Fräulein Zacharias, die Schreibkraft des Kontors, an die Maschine rief, und nickte Wilhelm Ströndle verabschiedend zu.
Wilhelm Ströndle verrichtete seine Arbeiten an diesem Vormittag mit halber Aufmerksamkeit. Bis jetzt war es ihm nicht so richtig eingegangen, was dieser Zeitungsaufruf unter Umständen für eine Bedeutung haben konnte. Erst das Gespräch mit dem Chef hatte ihm einen Stoß vor die Brust versetzt. Eine Erbschaft?
3.
Helmuth Krönlein wartete geduldig an der Ecke auf Charlotte. Es ging bei ihr nie ohne Verspätung ab. Er sah andere Angestellte des Modesalons Jean Bouterweque das Haus verlassen, aber er mußte bis Viertel nach Zwölf warten, ehe Charlotte sich freimachen konnte. Er war kein hübscher Mann, dazu saßen die Brauen zu dicht und zu buschig über der Nasenwurzel und gaben seinem Gesicht einen Ausdruck finsterer Kraft. Auch figürlich konnte man ihn für einen Ringer oder Boxer der Halbschwergewichtsklasse halten. Seine Nase schien dabei etwas abbekommen zu haben, denn sie wies einen deutlichen Knick nach links auf. Immer sah sein Haar so aus, als hätte er es nur mit den Fingern gekämmt. Er war einen halben Kopf größer als Charlotte und behauptete, das sei genau die richtige Kußproportion. Die Proben darauf mußten sie in größter Heimlichkeit machen. Denn Wilhelm Ströndle hatte etwas gegen den jungen Mann.
„Graphiker — soll das etwa ein Beruf sein? Solange der Bursche nicht mehr verdient, braucht er sich bei mir nicht sehen lassen!“ Und dabei blieb er eisern, sooft Charlotte ihn wegen einer Verlobung ansprach. Es nützte nichts, daß gelegentlich auch Frau Martha den Einwand brachte, wenn es wegen Helmuth Krönlein in der Familie zu Auseinandersetzungen kam, sein Festhalten an den viertausend sei Sturheit und er solle doch daran denken, daß er selber mit bedeutend weniger geheiratet habe. Das sei eben der Grund, antwortete er dann, daß er zu einer Ehe, die schon mit Not und Gefrett anfange, niemals seine Zustimmung geben werde. Dagegen war nichts zu machen, und so blieb den jungen Leuten nichts anderes übrig, als sich eben heimlich zu treffen.
„Nett von dir, daß du mich abholst!“ begrüßte Charlotte ihn.
Er streichelte ihre Hand und trat an ihre Seite.
„Du siehst fabelhaft aus, Lottekind.“
Sie hielt auf Abstand, denn die Straße wimmelte von Bekannten: „Gibt es etwas Neues? Sag es schnell, ich sehe es dir doch an der Nasenspitze an, daß du eine Überraschung für mich hast.“
Er ließ sie ein wenig zappeln: „Ein Auftrag für Schott, sechs Schaufenster, sechs Stadtansichten aus dem Barock mit modisch gekleideten Figuren... Pro Fenster achtzig, macht zusammen vierhundertachtzig blanke Katharinchen! Nun, mein Herz, was sagst du jetzt zu deinem stets Ergebenen? Und dazu kommt die große Chance, daß mir Schott weitere und laufende Aufträge gibt, wenn meine Entwürfe gefallen. Ich habe dem alten Schott so aus dem Handgelenk ein paar Sachen hingelegt, daß ihm die Spucke wegblieb.“
„Nimm bloß nicht den Mund so voll, Helmuth“, warnte sie ein wenig ängstlich; „wie ist Schott überhaupt auf dich gekommen?“
„Na hör einmal!“ sagte er
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