Die indische Erbschaft
hatten zum Glück weder etwas von der krankhaften Morbidität der Mutter noch von der apoplektischen Fülle ihres Vaters mitbekommen. Helen war eine elegante junge Dame von zwanzig Jahren, ein As des Tennisclubs Schwarz-Gelb, eine passionierte Reiterin und Turnierspringerin; zwei Jahre in einem Genfer Pensionat hatten ihr gesellschaftlichen Schliff und ein ziemlich einwandfreies Französisch gegeben. Sie wurde in der Stadt heftig umworben, aber sie schien höheren Ehrgeiz zu haben. Ronny mit seinen sechsundzwanzig Jahren hatte es noch nicht bis zum Referendar gebracht. Er begrüßte die Ströndles mit einem Gesicht, als käme er eben mal herunter, um sich die komische Menagerie seines Vaters anzusehen. Das waren sie also, die zukünftigen Millionäre, na schön...!
„Stell dir vor, Helen“, zwitscherte Frau Vollrath ihrer Tochter entgegen, „der junge Herr Ströndle will auch zur Bühne gehen!“
„Wie interessant...“, murmelte die junge Dame mit einem kleinen Heben einer Augenbraue und warf einen Blick auf Charlottes Kleid.
„Sehr hübsch... wo lassen Sie arbeiten?“
„Bei Jean Bouterweque!“ antwortete Charlotte eisig. „Hol mal zwei Gläser für euch beide, Ronny!“ ordnete Oskar Vollrath an, „oder was ist mit euch jungen Leuten? Wollt ihr euch lieber verdrücken? Ein bißchen tanzen, wie? Für einen anständigen Wein habt ihr ja doch keine Zunge..
Ronny warf Charlotte einen fragenden Blick zu, der gleichzeitig diskret ihre Figur erfaßte und den Kurven ihres Körpers nicht gerade mißbilligend folgte: „Haben Sie Lust, Fräulein Ströndle? Viel Freude werden Sie an diesem Tisch nicht erleben. Wie ich meinen alten Herrn kenne, wird er in zehn Minuten über den Preis von Essiggurken reden.“
„Das ist nun mein Sohn und Erbe!“ knurrte Oskar Vollrath.
„Und Sie, Kollege und Freund“, wandte sich Ronny an Werner, „wollen Sie sich meiner Schwester annehmen und sie ein wenig herumschwenken?“
Es blieb Werner wohl nichts anderes übrig. Ronny ging voraus und öffnete die Tür zum Nebenzimmer. Es war ein Raum von den Ausmaßen des Zimmers, in dem die älteren Herrschaften zurückblieben, nur wirkte er durch die geringere Möblierung noch größer.
Helen legte eine Platte auf den Apparat, aber sie setzte den Tonabnehmer nicht an.
„Sie wollen tatsächlich zur Bühne?“
„Wollen will ich schon, nur dürfen darf ich nicht..
„Hm, mit meiner Mutter würde ich schon fertig...“
„Hm, ich mit meiner auch!“
Sie sahen sich an und lachten, sie fanden einander gar nicht so übel.
„Bei wem nehmen Sie eigentlich Unterricht?“
„Zuletzt bei Brückner...“, antwortete er etwas zögernd.
Was er fast erwartet hatte, traf prompt ein, sie schlug die Augen zum Himmel auf und sagte nur: „Ach du lieber Gott...!“
An der Bar schüttelte Ronny Vollrath den Cocktailshaker mit der Routine eines berufsmäßigen Barmixers.
„Wenn das alles ist, was Sie können“, meinte Charlotte, „dann ist es nicht viel, aber das wenige können Sie wirklich hervorragend.“
Er hob sein Glas und trank ihr zu. Auch Helen und Werner nahmen ihre Schalen auf und blinzelten sich zu. Das Gebräu schmeckte bittersüß und prickelnd und schien harmlos zu sein wie ein Erfrischungsgetränk.
„Oh...“, murmelte Werner anerkennend, „mit diesem Trank im Leibe...“ Helen warf ihm einen Blick zu, der ihn rechtzeitig verstummen und ein wenig erröten ließ. Sie legte den Tonabnehmer auf die Schallplatte. Ein Marimba-Orchester spielte einen argentinischen Tango, feurig und scharf akzentuiert. Sie merkten, daß sie gut zusammenkamen, und glitten nach ein paar tastenden Schritten in schwierige Figuren. Helen legte die Wange an Werners Schulter: „Sie dürften für mich einen halben Kopf kleiner sein...“Der ungewohnte Cocktail machte ihn kühn; er sei bereit, sich für sie ein Stück abhacken zu lassen, flüsterte er ihr ins Ohr.
Auch Charlotte und Ronny tanzten den Tange. „Tango ist eigentlich nicht mein Fall...“, murmelte der zukünftige Referendar.
„Das merkt man“, sagte Charlotte und wirbelte ihn in einen Drehschritt hinein.
Im Nebenraum war nach dem Abzug der Jugend ein kurzes Schweigen entstanden, das Oskar Vollrath schließlich brach: „Wissen Sie was, lieber Ströndle, lassen wir die Damen mal für ein Weilchen allein. Damengespräche sind Damengespräche, und Männergespräche sind Männergespräche. Kommen Sie, trinken wir mal einen anständigen Schluck Cognac in meinem Zimmer!“ Er erhob
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