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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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daß Frau Vollrath die Szene mit ihren flinken Mausaugen sehr genau beobachtete.
    „Weshalb nicht? Wenn es der Zufall einmal ergibt..
    „Ich bin nicht für Lotterie — hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Sie in den nächsten Tagen einmal abholen würde?“
    „Ich fürchte mich ein wenig vor Ihrem Tempo“, sagte sie doppelsinnig.
    „Sie machen aber keinen ängstlichen Eindruck...“
    „Ich bin es auch nicht!“
    Sie verabschiedeten sich, Ronny begleitete Charlotte zum Wagen, wo er noch einmal eine Gelegenheit fand, ihre Hand zärtlich zu drücken.
    Auf den hinteren Polstern drückte Frau Martha ihren Wilhelm mit aller Kraft zurück, wenn er immer wieder mit dem Kopf durch das offene Fenster schießen wollte, um sich von seinem Freund Oskar noch einmal „anständig“ zu verabschieden. „Also es bleibt beim Frühschoppen, Oskar! Daran halten wir eisern fest!“
    „Jawoll, Willi, du holst mich um halb elf vom Geschäft ab.“
    „Ich hole dich vom Geschäft ab, Oskar, mein Freund — und bei dieser Gelegenheit — hicks — entlasse ich die Opferbaum, diese Mistbiene...“ Es kam nicht sehr deutlich heraus, denn Martha war die ganze Zeit über bemüht, ihm ihre Hand vor den Mund zu pressen, während sie mit der freien Linken den Vollraths zuwinkte. Der Wagen fuhr an.

10.

    Wilhelm Ströndle erwachte gegen neun Uhr, er gähnte laut und reckte sich und streckte die Arme und — erstarrte plötzlich. Wie ein Käfer lag er regungslos auf dem Rücken
    - und als würde aus dem Leerlauf des Schlafes ein Gang ins Getriebe geschaltet, so sprang die Erinnerung an den gestrigen Abend ruckartig in ihm auf. Langsam griff er nach seiner Brille, setzte sie auf, erhob sich, wölbte die Brust und trat im Nachthemd vor den Spiegel des Kleiderschranks. Sein Spiegelbild winkte ihm einen jovialen Morgengruß entgegen: „Na, mein lieber Ströndle von Ströndle & Vollrath, wie fühlst du dich, alter Junge? Prächtig, wie?“
    Martha steckte den Kopf zur Tür herein: „Na, Willi, du bist ja heute mächtig aufgekratzt...“
    „No, wir haben ja auch allen Grund dazu“, meinte er gut gelaunt und griff nach seinen Hosen; „ist das Frühstück fertig? Ich habe auf eine anständige Tasse Kaffee Appetit, auf frische Brötchen, zwei weiche Eier, etwas abgekochten Schinken...“
    „Sonst noch etwas?“
    „Was heißt ,sonst noch etwas’?“ fragte er, durch ihre kühle Haltung leicht verärgert, „oder bildest du dir ein, mein Herzchen, daß ich deinen Muckefuck weiterhin saufen werde, wie?“
    Martha trat ins Zimmer und machte die Tür hinter sich sorgfältig zu: „Hör einmal, mein Lieber, ich glaube, es wird Zeit, daß ich mit dir einmal ernsthaft rede...“
    „Im Gegenteil, meine Liebe, ich mit dir!“ unterbrach er sie schroff und scharf; „du scheinst nämlich noch immer nicht begriffen zu haben, daß wir unter veränderten Verhältnissen leben, und zwar unter gründlich veränderten Verhältnissen! Ich bin nicht mehr der kleine Buchhalter und Lohnsklave von Herrn Vollrath in Firma Kaspar Schellenberg, sondern ich bin — falls dir das noch nicht klar sein sollte — Teilhaber dieser Firma. Und du bist nicht mehr irgendeine kleine Frau Ströndle, sondern die Gattin eines Mannes, der in Kürze über Millionen und Abermillionen verfügen und ein paar von diesen Millionen in die Firma Ströndle & Vollrath einlegen wird. Aber ganz abgesehen von diesen zukünftigen Dingen sind die Muckefuckzeiten ab heute für die Familie Ströndle vorbei, endgültig vorbei! — Ich werde mich demnächst um eine andere Wohnung umschauen, die unseren Ansprüchen und unserer Stellung entspricht und die wir wenigstens vorläufig beziehen werden, bis sich uns irgendein passendes Objekt auf dem Löwenbühl oder in irgendeiner anderen anständigen Wohnlage der Stadt bietet. So, ich glaube, das dürfte wohl klar sein, und darüber brauchen wir nicht länger zu reden!“
    Martha erwiderte nichts; sie sah ihn nur an, von den Pantoffeln bis zu den ungekämmten schütteren Haaren, die sich über seinem Schädel sträubten. Sie sah ihn mit einem Blick an, der ihm das Blut in die Stirn trieb. „Weshalb starrst du mich so an?“ fragte er grollend; „ich bin nicht betrunken, und ich bin auch nicht größenwahnsinnig!“
    „Wie genau du meine Gedanken doch erraten hast!“ nickte sie beifällig; sie hatte dabei das Gefühl, alles, was er gesagt hatte und was er noch sagen würde, bereits gehört und erlebt zu haben, vielleicht in den Stunden vor Schlaf und

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