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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Traum, die in den letzten Nächten immer länger geworden waren, „aber schade...“
    „Was ist schade?“ fragte er irritiert.
    „Daß du tatsächlich nüchtern zu sein scheinst. Denn wenn du noch betrunken wärest, dann brauchte ich dich wenigstens nicht ernst zu nehmen.“
    „Hör einmal“, knurrte er, „den Ton von dir verbitte ich mir!“
    „Gib nicht so an!“ sagte sie müde und setzte sich auf das ungemachte Bett, „dazu sind wir beide zu lange miteinander verheiratet. Und es war eine gute Ehe, und du warst mir ein guter Mann. Unterbrich mich nicht, jetzt rede ich! - Und ich habe auch Respekt vor dir gehabt, denn du warst solid und nüchtern und hast dafür gesorgt, daß die Kinder etwas werden. Dafür haben wir beide gespart und uns nichts geleistet. Und wir wären weiß Gott manchmal auch gern ein wenig leichtsinnig gewesen. Und ich nehme dir auch nicht übel, daß du gestern und vorgestern mehr getrunken hast, als du vertragen kannst. Aber daß du vor mir- und im Nachthemd dazu — den großen Mann zu spielen anfängst, das finde ich lächerlich und — entsetzlich! Das erschreckt mich so, daß es mir ganz kalt ums Herz wird. Das erschreckt mich so sehr, daß ich jetzt nach fünfundzwanzigjähriger Ehe plötzlich denke: um Gottes willen, gibt es das, daß ein Mensch, den man zu kennen glaubt wie sich selber, sich von heute auf morgen so sehr verändert, daß man glaubt, einen Fremden vor sich zu haben.“
    „Alle Männer wachsen in ihre Positionen und in ihre höhere soziale Stellung hinein wie in eine Haut. Und nur die Frauen bleiben zurück!“
    „Und deshalb haben die Bonzen ihre Frauen abgesägt und sich schnell neue angelacht, he? Frauen, die erstens einmal knuspriger und jünger waren und die besser in die höhere soziale Stellung hineinpaßten, nicht wahr?“
    Er kämmte sich die Haare mit den Fingern aus den Schläfen: „Das mag vorgekommen sein...“sagte er etwas verwirrt.
    „Das war so!“ stellte sie fest.
    „Und weshalb reitest du darauf herum, und weshalb siehst du mich dabei so vielsagend an?“ schrie er nervös.
    Martha drückte sich mit den Händen vom Bettrand ab und ging langsam zur Tür: „Ich meinte es nur so, weil wir gerade darüber sprachen. Aber wir sind vom Ausgangspunkt abgekommen. Wenn du weiter — auch als Teilhaber der Firma — das essen willst, was ich auf den Tisch stelle, dann kannst du in die Küche kommen. Sonst wird dir in Zukunft nichts anderes übrigbleiben, als dein Frühstück im Ratskeller einzunehmen. Du weißt doch hoffentlich noch, daß du dich mit deinem Freund Oskar um elf dort verabredet hast.“
    Wilhelm Ströndle fuhr heftig in die Hosenbeine hinein und sagte: „Ich war angeheitert, aber nicht besoffen!“
    „Das liegt im Auge des Beschauers...“sagte Martha unerschüttert gleichmütig und verließ das Schlafzimmer.
    Christa sah ihr etwas ängstlich entgegen: „Hast du mit dem Vati was gehabt?“
    „Ich?“ fragte die Mutter mit einer vollendeten Unschuldsmiene, „wie kommst du darauf?“
    „Na — erst hat er gesungen — und dann war es so ruhig...“
    „Und weil es ruhig war, soll ich etwas mit ihm gehabt haben? Ich glaube, allmählich fangt ihr alle zu spinnen an. Aber damit du es weißt: ich habe mit dem Papa philosophiert; und wenn man philosophiert, dann kann man nicht singen.“ Sie nahm ihren Mantel von der Flurgarderobe und setzte auch den kleinen grauen Hut auf, der ihr so gut zu Gesicht stand.
    „Machst du dich aber fein...!“ verwunderte sich Christa, „seit wann gehst du mit dem Hut zum Einkaufen?“
    „Ich habe in der Stadt noch etwas anderes zu erledigen. Sorge du dafür, daß Papa und Charlotte endlich ihren Kaffee trinken. Das Fleisch für das Mittagessen bringe ich aus der Stadt mit. Wir machen uns eine Nudelsuppe, und die Männer kriegen ein Stück Rindfleisch mit Meerrettich.“ An der Tür drehte sie sich noch einmal um: „Wenn Charlotte fragen sollte, wo ich bin, dann sage ihr nur, daß ich etwas für sie erledige.“
    Helmuth Krönlein ahnte von dem Unheil nichts, das sich mit raschen Schritten seinem Pavillon näherte. Die Trennung von Charlotte hatte ihn noch tiefer getroffen, als er es befürchtet hatte. Allstündlich in diesen vergangenen Tagen war er drauf und dran gewesen, seine Arbeit liegenzulassen und Charlotte aufzusuchen. Nicht, um klein beizugeben, und nicht, um seinen ehrlichen Entschluß zu ändern, aber um sie liebevoll und eindringlich davon zu überzeugen, daß er die Trennung nicht

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