Die indische Erbschaft
Ströndle fuhr mit Arm und Glas seinerseits hinein, sie schlossen den Brüderschaftsring und: „Von jetzt an heiße ich für dich Oskar!“ und „Willi!“ sagte Wilhelm Ströndle schlicht und herzlich. Und Arm in Arm, die leeren Gläser in den Händen, erschienen sie in dem Raum, in dem die Damen ein ziemlich stockendes und von häufigen Pausen unterbrochenes Gespräch über die Pflege von Parkettböden, über die Entfernung von Fettflecken und über ihre häuslichen Sorgen mit den Kindern geführt hatten. Dieses Mal schwankte Wilhelm Ströndle nicht allein vor Glück und innerer Bewegung.
„Um Gottes willen!“ flüsterte Martha entsetzt, „meiner verträgt doch nichts...!“
„Hol mal die Flasche und ein paar kleine Gläser, Oskar!“ sagte Wilhelm Ströndle äußerst erheitert, „meine Frau Gemahlin braucht eine kleine Herzstärkung, das siehst du ihr doch an. Na und ehrlich, einen kleinen Schluck könnte ich auch noch vertragen.“
„In Ordnung, Willi, einen verlöten wir noch, und wenn sich unsere Frauen auf den Kopf stellen!“
Wilhelm Ströndle musterte die Damen, als überlege er angestrengt, ob sie zu dieser sportlichen Übung noch die nötige Elastizität besäßen, und fing von Martha einen furchtbaren Blick auf.
„Seien Sie uns nicht böse“, rief sie und sprang rasch auf; sie eilte zu ihrem Mann hin, nahm seinen Arm und versetzte ihm, während sie ihr liebenswürdigstes Gesicht aufsetzte, von hinten mit der freien Hand einen kurzen Faustschlag ins Kreuz, „es war wirklich ein reizender Abend, und wir beide sind Ihnen sehr dankbar, aber es wird höchste Zeit für uns, zu gehen!“
„Hastu gesehen, Oskar? Ins Kreuz hat sie mich gebufft, daß mir die Rippen wehtun... Aber so issie, meine Frau, immer wenn’s gemütlich wird, hicks, fängt sie an zu stänkern und will heim...“
„Wenn du jetzt nicht still bist!“ zischte Martha ihm mit furchtbarer Stimme ins Ohr.
„Aber gnädige Frau!“ röhrte Oskar Vollrath, „einen ganz kleinen nehmen wir noch! Seien Sie kein Spielverderber...“
„Keinen Tropfen mehr!“ rief Martha energisch.
Und „Keinen Tropfen mehr!“ rief auch Frau Vollrath mit hoher, schriller Stimme. Und sanfter fügte sie, zu Martha gewendet, hinzu: „Es war ein reizender Abend. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und hoffe, daß wir uns bald wiedersehen. Wenn Sie mit Ihrem Gatten vorausgehen wollen... Ich sage den Kindern, daß sie kommen sollen. Und du, Oskar, sorge dafür, daß Wuttig den Wagen vorfährt!“
„Wenn du mich morgen zum Frühschoppen vom Geschäft abholen willst, Willi... Um halb elf vielleicht, wie?“
„Frühschoppen? Das ist gut... das erleichtert mir den Abschied von dir, Oskar...“
Martha drehte ihn kurz herum und marschierte mit ihm in die Diele, wo das Mädchen ihr in den Mantel half. Wuttig war bereits beim Wagen, als Oskar Vollrath die ältere Generation der Ströndles verfrachtete. Im Musikzimmer wurde nicht mehr getanzt. Die jungen Leute hatten sich paarweise voneinander abgesetzt. Werner und Helen waren tief in ein Theatergespräch verstrickt, sie schüttelte sich vor Lachen, wenn er den alten Brückner kopierte, und Ronny machte ganz unverkennbar Charlotte den Hof. Sie saß in dem gemütlichen Winkel hinter dem Flügel auf einem Empiresofa, während er vor ihr auf einem niedrigen Hocker Platz genommen hatte. Die Cocktailbecher, denen sie fleißiger zugesprochen hatten als ihre jüngeren Geschwister, standen zwischen ihnen am Boden, und Charlotte hatte einen ganz kleinen Schwips.
„Ihr müßt leider Schluß machen“, rief Frau Vollrath und hob bedauernd die Hände.
„Warum denn schon so früh am Tage?“ fragte Ronny ungnädig.
Frau Vollrath, die immer wie ein zerrupfter kleiner schwarzer Vogel aussah, wurde in ihrer Verlegenheit, wie sie es den jungen Ströndles beibringen sollte, noch vogelähnlicher.
„Herr Ströndle fühlt sich nicht ganz wohl“, flötete sie und bewegte die Arme, als ob sie emporflattern wolle.
„Der vorletzte Ströndle scheint mal wieder einen zuviel gehoben zu haben...“, raunte Werner seiner Partnerin zu.
„Mir brauchen Sie nichts zu erzählen“, winkte Helen ab, „mein alter Herr macht uns Kummer genug. Schade, daß Sie schon gehen müssen. Sehen wir uns einmal wieder? Ich bin jeden Nachmittag auf dem Tennisplatz...“
Drüben beugte sich Ronny über Charlottes Hand. „Sehen wir uns einmal wieder, Fräulein Charlotte?“ fragte er und umschloß ihre Finger mit sanftem Druck. Sie bemerkte,
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