Die indische Erbschaft
übersprudelte und überhaupt ein richtiger Schwerenöter war. Er kam ihr entgegen, als hätte er eine Verjüngungskur mitgemacht, straff in der Haltung, den Hut leicht aufs rechte Ohr gedrückt, mit einem schlendernden Bummelschritt und mit gespitzten Lippen, als ob er sich eins pfeifen wolle. Und wahrhaftig, er drehte sich sogar nach einer jungen Frau um, die elegant an ihm vorüberstöckelte. Schade, daß er sie sah — sie wäre gern eine Weile hinter ihm unbemerkt hergegangen...
„Bist du zum Essen daheim, Willi?“
„Wart vorsichtshalber ein wenig damit..
Sie wollte es unterdrücken, aber es rutschte ihr doch hinaus: „Tu mir einen Gefallen und trink nicht zuviel!“
„Dir ist nicht wohl, wenn du an mir nicht herummeckern kannst!“ sagte er verärgert, „du tust gerade so, als ob ich ein Säufer wäre.“
„Ich meine es doch nur gut, Willi“, lenkte sie ein, „wegen deines Magens...“
„Mein Magen ist in Ordnung!“
„...und damit du dich von Vollrath nicht übers Ohr hauen läßt. Er ist ein gerissener Kaufmann, und aus reiner Menschenfreundlichkeit hat er dich nicht zum Teilhaber gemacht.“
„Und ich bin deiner Ansicht nach ein Idiot, wie?“
„Das habe ich nicht behauptet!“
„Dann erspar dir doch auch deine guten Ratschläge. Ich verstehe schließlich auch etwas vom Geschäft. Soviel wie der Dicke allemal!“
„Wir warten also mit dem Essen auf dich...“, murmelte sie und nickte ihm zu und ging. Sie spürte die Beine wie Blei. Begann es schon jetzt damit, daß sie sich entfremdeten? Daß sie zu hausbacken für ihn war? Daß das, was er ihr heute über die angebliche Unfähigkeit der Frauen, * sich in größere Verhältnisse hineinzufinden, nicht nur so von ungefähr und spontan kam, sondern daß er sich mit diesen Gedanken schon seit längerer Zeit beschäftigte? Suchte er vielleicht schon — wenn auch noch vorläufig unbewußt — nach der Partnerin, die den neuen Ansprüchen, die er ans Leben stellte, besser gewachsen war als sie? Würde es einmal so weit kommen, daß er sich für sie schämte und ihr vielleicht den Vorschlag machte, sich von ihr freizukaufen? — Mein Gott, dachte sie, bevor er noch dazu kommt, diesen Gedanken laut werden zu lassen, mache ich den Gashahn auf...
Ein Anruf ließ sie emporfahren. Charlotte winkte ihr aus dem Fenster entgegen, die Augen voll ungeduldiger Fragen, und kam ihr auf der halben Treppe entgegen.
Martha verließ der Mut, ihr die Wahrheit zu sagen. „Ich habe Pech gehabt, Kind, er war nicht zu Hause.“
„Oh“, rief sie enttäuscht und doch halb beruhigt, „weißt du, Mama, wie du dahergekommen bist, wie mit dem Kranz hinterm Leichenwagen und auch mit einem Gesicht wie beim Begräbnis, da dachte ich wahrhaftig schon, alles sei aus.“
„Ich habe auch mein Päckchen zu tragen“, murmelte Martha.
Charlotte hob die Schultern: „Deine Sorgen möchte ich haben! Aber meine Geschichte mit Helmuth, die macht mir Kummer!“
„Wo ist Christa eigentlich?“ fragte die Mutter.
„Auf und davon. Papa hat ihr gesagt, sie könne sich von nun an in der Orthopädischen Klinik dreimal wöchentlich bestrahlen und massieren lassen. Er will sie in ein Bad schicken, und er will noch in diesen Tagen mit dem Chefarzt der Klinik sprechen, was für sie in Frage kommt.“
„Ich gönne es Christi von Herzen; aber ich fürchte — ich fürchte...“
„Was fürchtest du?“
„Daß wir das Fett schon in die Bratpfanne legen, bevor der Hase geschossen ist. Die fünftausend von Vollrath sind ein schönes Stück Geld, aber zu großen Sprüngen langen sie auch nicht!“
„Na hör einmal, Mama, fünftausend...!“
„Nimm einen Zettel und rechne es dir aus, wie weit das langt, wenn wir so üppig zu leben anfangen, wie Papa sich das wünscht. Papa und Werner reden von neuen Anzügen und Mänteln, die sie dringend brauchen. Werner will auf einmal Tennis spielen! Und Papa redet mir die Ohren voll von standesgemäßem Auftreten und gesellschaftlicher Stellung... lieber Gott!“
„Laß ihn doch ein bissel angeben, wenn es ihm Spaß macht.“
„Er hat sich merkwürdig verändert…“, sagte Martha verzagt. Sie wusch den Meerrettich unter der Wasserleitung und begann die Wurzel sauberzuschaben.
„Und mein Helmuth vielleicht nicht?“
„Dein Helmuth — dein Helmuth!“ Frau Martha ahmte Charlottes Tonfall leicht verärgert nach, „du tust gerade so, als ob ihr schon wer weiß wie lange miteinander verheiratet seid und als ob er dich mit drei
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