Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
Proto-Indoeuropäischen. Die Auflösung der einheitlichen Grundsprache zieht sich über einen längeren Zeitraum hin, setzt im späten 5. Jahrtausend v. Chr. ein, verstärkt sich im 4. Jahrtausend v. Chr. und läuft in die Ausgliederungstrends des 3. Jahrtausends v. Chr. aus. Zunächst betrifft die Ausgliederung nur Europa (s. Kap. 4), setzt sich aber später in Zentralasien, im Mittleren Osten und in Indien fort (s. Kap. 5 und 6).
Eine Schlüsselrolle für die lokalen Akkulturationsprozesse spielte die Usatovo-Kultur (ca. 3300–2900 v. Chr.) im Südwesten der Ukraine und in Moldawien, benannt nach einem Fundort östlich des Dniester an der Schwarzmeerküste. Diese Mischkultur ist der letzte Ausläufer der Trypillya-Kultur in der Ukraine. In den Siedlungen findet man die Spuren zweier Kulturen:Kurgan-Bestattungen mit typischen Beigaben der Steppentradition (Steinäxte mit Pferdekopfverzierung) sowie flache Erdgräber mit weiblichen Statuetten als Beigaben nach alteuropäischer Art liegen im selben Areal. Der Warenaustausch mit den Siedlungen im Nordwesten war rege, und der politische wie auch der sprachlich-kulturelle Einfluss, der von Usatovo ausstrahlte, machte sich bis weit in die Trypillya-Region bemerkbar (Anthony 2007: 351).
Von der Usatovo-Region ging möglicherweise die dritte Migration der Indoeuropäer aus, die auf das Gebiet der mittleren Donau und nach Südungarn gerichtet war. Die formative Frühphase der ältesten indoeuropäischen Kulturkomplexe in Westeuropa steht vielleicht im Zusammenhang mit dieser Bewegung. Dies gilt für das Italische, Germanische und Keltische.
Wagenbau und Metallhandwerk – Neue Technologien
Die Fusion von Steppenkultur und agrarischer Lebensweise brachte auch revolutionäre Innovationen hervor, die für die Folgekulturen unverzichtbar werden sollten. Die Anfänge der Metallverarbeitung in Europa sind terminologisch in der Sprache der Alteuropäer dokumentiert, und etliche dieser lexikalischen Elemente haben sich als Substrat im Altgriechischen erhalten: altgriech.
metallon
‹Metall›,
kassiteros
‹Zinn›,
kibde
‹Metallschlacke›,
chalkos
‹Kupfer›.
Chalkos
steht in Beziehung zu
chalke
(bzw.
kalche
) ‹Purpurschnecke›. Dies ist ebenfalls ein vorgriechisches Lehnwort. Der Name für Kupfer ist also in Anlehnung an die rötliche Farbe des Metalls gewählt worden.
Kupfer wurde seit ca. 5500 v. Chr. in Alteuropa bearbeitet, d.h. vor der Periode der indoeuropäischen Kontakte zu den Alteuropäern. Es ist daher folgerichtig, dass der Ausdruck für dieses Metall – wie überhaupt der allgemeine Terminus für ‹Metall› – aus der Sprache der Alteuropäer stammt und nicht zum Wortschatz der indoeuropäischen Grundsprache gehörte. Das Kerngebiet der Technologie der Metallverarbeitung lag in der karpatisch-balkanischen Region, und dieses Areal dehnte sich nach und nach in die Zone der Waldsteppe nach Osten aus.
7 Ältestes rekonstruiertes Wagen-Modell, Schwarzmeerregion 4. Jt. v. Chr. (nach Videjko 2008: 80).
Dazu im Vergleich: Skythisches Wagenmodell aus Ton, 3. Jh. v. Chr. (nach Schiltz 1994: 353).
Anders steht es mit den Ausdrücken für ‹Gold› in den indoeuropäischen Sprachen. Aus Gold gefertigte Artefakte treten erstmals um 4500 v. Chr. auf. Die ältesten Objekte aus gehämmertem Goldblech sind Grabbeigaben aus dem Gräberfeld von Varna (Anthony 2009: 195ff.). Die Gräber von Varna weisen eindeutig auf soziale Unterschiede in der damaligen Gesellschaft. Einige wenige Gräber sind ausnehmend reich ausgestattet. In einem Grab wurde ein elitäres Statussymbol gefunden, ein Szepter mit vergoldetem Schaft. So veranschaulicht die Kultur von Varna die oben beschriebene Integration von nomadischer und agrarischer Gesellschaftsform besonders deutlich.
Die weltweit ältesten Hinweise auf die zweite fundamentale Innovation, die Verwendung von Wagen mit vier Rädern, stammen aus der Trypillya-Region, aus der Kontaktzone von Indoeuropäern und Alteuropäern. Das älteste bekannte Wagenmodell hatte vier hölzerne Scheibenräder – Speichenräder wurden erst viel später eingeführt –, dazu einen runden Aufbau zum Schutz des Transportguts. Dieses in der ersten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. entwickelte Wagenmodell erwies sich als sehr erfolgreich; noch 3000 Jahre später war es in ungefähr dieser Form auch bei den Skythen verbreitet (s. Abb. 7). Als Zugtiere wurden sowohl Ochsen als auch Pferde verwendet. In schwergängigem
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