Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
Gelände fiel die Wahl wohl auf Ochsen mit ihrer stärkeren Zugkraft.
Die Konstruktion von Wagen setzt die Erfindung des Rads voraus. Radförmige, rotierende Arbeitsplattformen für das Töpferhandwerk wurden schon im 5. Jahrtausend v. Chr. in der Cucuteni-Region (Moldawien) genutzt (Gimbutas 1991: 122), die wie die Trypillya-Kultur auch Teilareal der Donauzivilisation war. Solche Vorläufer der Töpferscheibe wurden in etwa zeitgleich auch in Mesopotamien nutzbar gemacht. Die Idee, die Drehkraft der horizontal rotierenden Scheibe in die Vertikale umzusetzen, brachte den Durchbruch für die Wagentechnologie der Leute in der bikulturellen Trypillya-Region.
Im Wortschatz der indoeuropäischen Grundsprache werden mehrere Ausdrücke für den Begriff ‹Rad› unterschieden (Parpola 2008: 4ff.), nämlich
∗ k w ek w los
‹Rad› und
∗ rot-eh 2
‹Rad›. Eine Erklärung dafür mag sein, dass die Radtechnologie nicht auf einer einmaligen Erfindung, sondern auf einer längeren Kette von Experimenten mit Rad und Achse beruht (Huld 2000: 95).
∗
k w ek w los
altnord.
hvel
‹Rad›, altengl.
hweohl
‹Rad›, mndl.
wiel
‹Rad›, avest.
č axtra
‹Rad›, altgriech.
kuklos
‹Kreis› und
kukla
(PI.) ‹Räder›, tochar.
kukal
‹Wagen›
∗ rot-eh 2 -
altir.
roth
‹Rad›, latein.
rota
‹Rad›, ahd.
rad
‹Rad›, lit.
ratas
‹Rad›, lett.
rats
‹Rad› und
rati
(PI.) ‹Wagen›, alban.
rreth
‹Ring, Reifen›, avest.
ratha
‹Karren, Wagen›, altind.
rátha
‹Karren, Wagen›
∗ h 2 eks-,
lat.
axis
‹(Rad)Achse›, altengl.
eax
‹Achse›, ahd.
ahsa
‹Achse›,
altkirchenslaw.
osi
‹Achse›, altind.
áka
‹Achse›
Die Waldgebiete Westeuropas waren für Wagen mit hölzernen Rädern ebenso wenig geeignet wie die hügeligen, von Flussläufen durchzogenen Landschaften der Balkanregion. Besonders eignete sich dieses Transportmittel allerdings in der offenen Landschaft der Waldsteppe und Steppe, dem charakteristischen Terrain der östlichen Trypillya-Region. Von dort verbreiten sich Rad und Wagen ab ca. 3.500 v. Chr. Belegt ist, dass die Träger der Jamnaja-Kultur, die um 3300 v. Chr. aus der pontischen Steppe zogen,Druck auf die Siedlungen der Usatovo-Leute ausübten und deren Westbewegung im Zuge der dritten Kurgan-Migration auslösten, in ihrem Tross nicht nur Packtiere, sondern auch Wagen mitführten (Parpola 2008: 34).
Akkulturation und Sprachwandel
Die Akkulturation der Steppennomaden an die agrarische Lebensweise der sesshaften Bevölkerung im Gebiet der östlichen Ukraine zeitigte weitreichende Folgen auch auf sprachlicher Ebene. Die Sprecher des Proto-Indoeuropäischen nahmen im zweisprachigen Milieu neue Sprechgewohnheiten an, als deren Resultat ihre Sprache einen entscheidenden Lautwandel erlebte. Vom Wandel betroffen war eine Gruppe von Lauten, für die in der Sprachwissenschaft die Bezeichnung «Laryngale» gebräuchlich ist. Laryngale sind typisch für die Phonetik der proto-indoeuropäischen Grundsprache (Bammesberger 1988), und sie treten in anderen rekonstruierten Grundsprachen nicht auf. Die Benennung bezieht sich auf die Artikulationsstelle dieser Laute im Kehlkopf (lat.
larynx),
es handelt sich um Kehlkopfverschlusslaute, von denen der im Deutschen und Dänischen auftretende Knacklaut (engl.
glottal stop
) am bekanntesten ist. Einige Forscher nehmen nur einen Laryngal (und zwar diesen Knacklaut) für das Proto-Indoeuropäische an, am verbreitetsten ist die Annahme von drei Laryngalen. Die Laryngale werden in den Wortrekonstruktionen durch H 1 , H 2 , H 3 (evtl. H 4 ) gekennzeichnet (z.B. ∗
h 1 ekuos
‹Pferd›).
Die Existenz der Laryngallaute im Proto-Indoeuropäischen lässt sich indirekt an Hand der alten Entlehnungen in den uralischen Sprachen nachweisen. Finn.
kallis
‹teuer, kostbar; lieb› geht auf indoeurop.
∗ h 2 al-yes
zurück. In den indoeuropäischen Sprachen ist der Laryngal dagegen verlorengegangen, wie die Reflexe in altind.
aryá-
‹gütig, hold, ergeben› oder altnord.
elskr
‹herzlich zugetan, von Liebe erfüllt› zeigen. Trotz ihrer Bedeutung für das Lautsystem der Grundsprache sind in den Einzelsprachen nur Relikte der Laryngallaute erhalten geblieben, und zwar im Hethitischen, Armenischen und Albanischen.
Man kann nur darüber spekulieren, warum und wann die Laryngale aufgegeben worden sind. Vieles spricht dafür, dass der Wandel in den Sprechgewohnheiten, der dem Lautverlust vorausging, ausgelöst wurde vom
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