Die Insel der besonderen Kinder
Fisch in ein Gefrierfach packte. »Aber du brauchst anständige Schuhe. In den Turnschuhen kommst du nicht weit – die versinken sofort im Matsch.«
»Wirklich?«, fragte ich. »Sind Sie sicher?«
»Dylan! Hol dem Typen ein paar Wellingtons!«
Der Junge stöhnte, schloss mit großem Getue den Gefrierschrank, wusch sich die Hände und schlurfte rüber zu den Wandregalen mit Kurzwaren.
»Wie es der Zufall will, haben wir ein paar feste Stiefel im Angebot«, sagte der Fischhändler. »Kauf ein Paar, bekomm kein zweites dazu!« Er lachte dröhnend und schlug mit dem Hackebeil einem Lachs den Kopf ab, der über die von Blut glitschige Theke rutschte und genau in einem Eimer landete.
Ich fischte das Notfall-Geld, das Dad mir mitgegeben hatte, aus meiner Hosentasche und entschied, dass räuberische Erpressung ein akzeptabler Preis dafür war, die Frau zu finden, wegen der ich den Atlantik überquert hatte.
Kurz darauf verließ ich den Laden mit Gummistiefeln an den Füßen. Sie waren so groß, dass ich mit Turnschuhen hineinpasste, und so schwer, dass ich Mühe hatte, mit meinem übellaunigen Führer Schritt zu halten.
»Gehst du auf der Insel zur Schule?«, fragte ich Dylan und versuchte, ihn einzuholen. Es interessierte mich wirklich. Wie mochte es für jemanden in meinem Alter sein, auf dieser Insel zu leben?
Er murmelte den Namen einer Stadt auf dem Festland.
»Wie lange bist du dahin unterwegs, eine Stunde pro Strecke?«
»Japp.«
Und das war’s. Auf weitere Versuche, mit ihm ins Gespräch zu kommen, antwortete er mit noch weniger Silben – will heißen, gar nicht. Schließlich gab ich auf und trottete stumm hinter ihm her. Auf dem Weg aus dem Dorf begegneten wir einem seiner Freunde, einem älteren Jungen in einem schreiend gelben Trainingsanzug und mit goldenem Modeschmuck behängt. Er hätte auf dieser Insel nicht deplazierter wirken können, wenn er einen Raumanzug getragen hätte. Er begrüßte Dylan mit einem Fausthieb und stellte sich als Worm vor.
»Worm?«
»Das ist sein Künstlername«, erklärte Dylan.
»Wir sind das coolste Rapper-Duo in Wales«, antwortete Worm. »Ich bin MC Worm, und das ist der Sturgeon Surgeon alias Emcee Dirty Dylan alias Emcee Dirty Bizniss, Cairnholms Beat-Boxer Number One. Sollen wir diesem Yankee eine Kostprobe geben, Dirty D?«
Dylan wirkte verärgert. »Jetzt?«
»Gib mir ein paar Next-Level-Beats, Bruder!«
Dylan verdrehte die Augen, kam der Aufforderung aber nach. Anfangs dachte ich, er würde seine Zunge verschlucken, abgesehen davon, dass sein spuckendes Gehuste einen gewissen Rhythmus hatte –
puhh, puh-
CHAH
, puh-puhhh, puh-
CHAH
.
Worm begann zu rappen: »Mir gefällt’s, kaputtzugehn im Priest Hole, krieg eins auf die Mütze/dein Dad ist immer da, yeah, denn er lebt von der Stütze/meine Musik ist stramm, für mich ist alles easy/Dylans Beats sind heiß wie Hähnchen Jalfrezi!«
Dylan verstummte. »Das ergibt keinen Sinn«, sagte er. »Und außerdem kriegt
dein
Dad Stütze.«
»O shit, Dirty D lässt den Beat fallen!« Worm begann mit Beat-Boxen, indem er leidlich gute Roboterbewegungen nachahmte und mit den Turnschuhen Löcher in den Schotter bohrte.
»Schnapp dir das Mikro, D!«
Dylan wirkte verlegen, ließ aber dennoch ein paar Reime vom Stapel: »Hab ’ne steile Braut getroffen, ihr Name war Sharon/Sie stand auf meine Sneakers und auf meinen Rhythm/ich zeig ihr, was angesagt ist wie Doctor Who/Den Rap hab ich mir ausgedacht, als ich war auf’m Klo!«
Worm schüttelte den Kopf. »Auf’m Klo?«
»Ich war nicht vorbereitet!«
Die beiden wandten sich mir zu und wollten wissen, was ich von ihrer Musik hielte. In Anbetracht dessen, dass sie sich gegenseitig kritisierten, wusste ich nicht, was ich sagen sollte.
»Ich stehe eher auf Musik mit Gesang und Gitarre und so«, antwortete ich schließlich.
Worm winkte ab. »Der würde einen Dope Rhyme nicht einmal erkennen, wenn er ihm in die Eier beißt«, murmelte er.
Dylan lachte, und die beiden tauschten eine Reihe komplexer Handschlag-Faustschlag-High-Fives aus.
»Können wir jetzt weitergehen?«, fragte ich.
Die beiden maulten und trödelten noch ein bisschen herum, bis wir uns endlich wieder in Bewegung setzten. Worm kam mit. Ich lief hinter den beiden her und überlegte, was ich zu Miss Peregrine sagen sollte, wenn ich vor ihr stand. In meiner Fantasie wurde ich einer eleganten walisischen Dame vorgestellt, trank in einem Salon Tee mit ihr und plauderte höflich, bis der Moment
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