Die Insel der Krieger
auf, dass die Scherben der Scheibe, die Stella zerschlagen hatte, aufgefegt worden waren. Im Spiegelsaal war es dunkel, nachdem Kaya die Tür geschlossen hatte. Dem Jungen war nicht klar, was die Göttin hier wollte. »Liegt der Unterschlupf der Ferlah in Eda? « , fragte sie. »Nein. Er liegt hinter den Bergen. Und Unterschlupf ist nicht das richtige Wort dafür. « »Ich habe die Grenzen Edas nie überschritten, weshalb ich im Spiegelsaal nicht beobachten kann, was dahinter liegt«, erklärte Kaya. »Das bedeutet, dass du mir den Aufenthaltsort der Ferlah zeigen musst. « Nalig wandte den Kopf zu Kaya, auch wenn er sie nicht sehen konnte. »Wie soll ich das anstellen? « »Du musst dich ganz auf das konzentrieren, was du sehen möchtest. Wenn keine anderen Gedanken deine Erinnerungen schwächen, dann zeigt der Spiegelsaal dir das, woran du denkst. Und zwar so, wie es gerade jetzt aussieht. « Zweifelnd rief Nalig sich das Gebirge, die Insel mit dem rauchenden Berg und hunderte Ferlah vor Augen. Für einen winzigen Moment wurde es im Raum hell, als die Spiegel um ihn her den See und darüber ein paar verschwommene Schatten zeigten. »Ja, du hast es beinahe geschafft. « Die Augen vor Anstrengung fest zusammengekniffen, versuchte Nalig es noch einmal. Bei Kaya hatte es so einfach ausgesehen. Nach einigen weniger erfol g reichen Anläufen schaffte Nalig es, das Bild aufrechtzuerhalten. Es erstreckte sich nicht über alle Spiegel und wirkte seltsam zweidime n sional. Auch wurde es immer wieder von anderen Bildern durchbr o chen. Rothas Gesicht tauchte auf, der Ort, an dem Juray starb, König Kilian und Naligs Vater. Insgesamt erhielt Kaya dennoch einen guten Eindruck von der Insel. Mit Bestürzung stellte sie fest, wie viele der schwarzen Flugechsen am Himmel kreisten und dass ständig weitere aufflogen. Der Vulkan hatte sich ein wenig beruhigt. Daher war der Himmel klar und der Blick auf die Insel frei. »Ich glaube, ich habe genug gesehen«, meinte Kaya schließlich und Nalig ließ das Bild fallen. Es wurde abermals dunkel. Vor dem Spiegelsaal blieb die Göttin st e hen. Nalig versuchte, in ihren Augen zu lesen – ein hoffnungsloses Unterfangen. »Was denkt Ihr? « , wagte er zu fragen. »Dass dein Köni g reich dem Untergang geweiht ist. Und wir mit ihm. « Zutiefst erschr o cken durch diese Worte, klappte Nalig den Mund auf, um ihn gleich darauf sprachlos wieder zu schließen. »Dass sie so zahlreich sind, hatte ich nicht erwartet. Und es ist unsinnig zu hoffen, dass weiterhin nur zehn oder zwölf der Ferlah auftauchen werden, um uns herauszufo r dern. Irgendwann werden sie begreifen, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind. Wenn wir nicht bald einen wirklich guten Einfall haben, dann sind wir in naher Zukunft am Ende unserer Kräfte. « »Irgende t was muss es geben, was wir tun können«, erwiderte Nalig trotzig. Leider fiel ihm nichts ein. Er hatte sich darauf verlassen, dass Kaya sagte, wie es weiter ging. Die Göttin ging hinaus, um den anderen Kriegern die beunruhigenden Neuigkeiten mitzuteilen. Damit war die Feier zu Jurays Andenken beendet und alle gingen zu Bett. Trotz all der Dinge, die ihm im Kopf herumgingen, fand Nalig schnell Schlaf. Lange hielt dieser jedoch nicht an.
Es war noch Nacht, als der Junge die Augen öffnete und zunächst verstand er nicht, was ihn überhaupt geweckt hatte. Dann sah er Stella neben seinem Bett stehen. Sie trug ihre Rüstung und hatte sich in sein Zimmer geschlichen. »Stella! Du hast mich fast zu Tode erschreckt. Was willst du denn hier? « Nalig entzündete Licht. »Kaya hat dir gesagt, wie man den Spiegelsaal benutzt«, sagte sie. »Ja. Aber weshalb ist das ein Grund, mitten in der Nacht hier aufzutauchen? « »Kannst du es mir zeigen? « , fragte sie, ohne auf ihn einzugehen. »Zeigen? Was denn? « »Wie man die Spiegel benutzt, um Orte auf dem Festland zu beobac h ten«, meinte sie ungeduldig. »Jetzt? Wozu? « »Ich muss heute Nacht nach Syri, um meinen Fehler wieder gutzumachen. « Gerade aus dem Schlaf geschreckt noch nicht sehr aufnahmefähig, blinzelte Nalig sie an. »Welchen Fehler? « »Den Tod eines Regenten meines Königre i ches. « Stella klopfte mit dem Fuß auf den Boden. »Und weshalb ben ö tigst du dafür den Spiegelsaal? « »Willst du mir nun helfen oder nicht? « , zischte sie. Eigentlich wollte Nalig im Augenblick nur schlafen. We s halb er also die Decke beiseiteschlug und aufstand, um sich anzuzi e hen, wusste er nicht genau. Im Tempel war es
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