Die Insel der Krieger
Vorhangstange steigen. Dort blieb er reglos sitzen und stellte das Gefieder auf. Nino kletterte gekränkt an Arkas’ Beinen hinauf und hangelte sich dann hoch auf seine Schulter. Die Jungen zogen sich an. Auf dem Gang begegnete ihnen Ilia. Sie hatte sich von ihrem Sturz gut erholt. Entgegen der gut gemeinten Ratschl ä ge Miras und Linas Gezeter hielt Ilia sich nicht länger im Bett auf als die übrigen Inselbewohner. Nalig hatte gar nicht erst versucht, ihr ins Gewissen zu reden. Sie musste selbst wissen, was gut für sie war. »Hast du Merlin den Verband schon abgenommen? « , wollte das Mädchen wissen. »Ja, gerade eben. « »Und wie geht es ihm? « »Er wird etwas Zeit brauchen, um sich daran zu gewöhnen. « Nalig seufzte. »Und ich auch. « Ilia trat vor, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. »Er wird schon wieder. «
Nach dem Frühstück legten Zalari und Nalig eine ausgiebige Tra i ningseinheit ein, um in Form zu bleiben. Als Nalig anschließend nach Merlin sah, drängte der Vogel ins Freie. Nalig öffnete ihm bereitwillig das Fenster. Der Flug des Falken wirkte etwas unsicher. Wenig später allerdings kam er mit einer toten Maus zurück. Sein Jagderfolg schien demnach nicht allzu sehr beeinträchtigt und auch sein Appetit war wohl zurückgekehrt. Nalig war angesichts dieser Entwicklung ausg e sprochen erleichtert. Auch das Fernbleiben der Ferlah stimmte ihn zuversichtlich. Doch schon am nächsten Morgen kippte die gute Stimmung wieder.
Als Nalig mit Merlin auf der Schulter in den Speisesaal kam und Kaya dort erblickte, wusste er schon, dass etwas geschehen sein mus s te. Mira sprach leise mit Kaya, während alle übrigen Inselbewohner schweigend Blicke tauschten. Aro war der Einzige, der am Tisch saß. Er hatte den Kopf in die Hände gestützt, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war. Nalig trat dicht an Zalari heran. »Was ist hier los? « , flüsterte er. »Rigo ist tot«, erklärte Zalari. Nalig spürte, wie das ungläubige En t setzen wiederkehrte, das er empfunden hatte, als Zalari ihm die Nac h richt von Jurays Tod überbracht hatte. »Aber wie kann das sein? Mira sagte doch, dass er es überlebt. « Zalari nickte betreten. »Es waren wohl eher die Schmerzen als die Verletzungen, die ihn umgebracht haben. Mira meinte, dass sie heute Morgen kurz im Wald war, um Kräuter zu suchen. Als sie zurückkam, lag er blutüberströmt in der Hütte und hielt ihr Messer noch in der Hand. Nalig schluckte. »Konnte sie denn nichts mehr für ihn tun? « »Soweit ich sie verstanden habe, hat sie es gar nicht erst versucht«, erwiderte Zalari kopfschüttelnd. »Wie konnte sie das zulassen? « Plötzlich empfand Nalig einen so tiefen Groll gegen Mira, dass er selbst darüber erschrak. Gleichzeitig fühlte er sich von Rigo im Stich gelassen. Zalari fasste Nalig fest am Arm. »Rigo wäre uns keine Hilfe mehr gewesen«, sagte er eindringlich. »Er konnte seine Beine nicht bewegen und Mira war sich sicher, dass sich daran nichts mehr ändern würde. Und gegen seine Schmerzen konnte sie nichts tun. Du kanntest Rigo lange genug, um zu wissen, dass er mehr ausg e halten hätte als wir alle zusammen. Also versuche dir vorzustellen, welche Qualen er gelitten haben muss, dass er nicht nur seinen Tod, sondern auch den seines Begleiters in Kauf genommen hat, um ihnen ein Ende zu setzen. « Nalig versuchte, es sich vorzustellen. Er hatte Rigo für seine Willensstärke bewundert und ihn als Krieger respektiert. Doch in Eda war der Freitod der unehrenhafteste, den man sterben konnte. Es war nicht leicht für Nalig einzusehen, weshalb jemand diesen Ausweg wählen sollte. Wie froh waren alle Krieger gewesen, als sie Rigo nach dem Kampf lebend gefunden hatten.
Kein Tag auf Kijerta hätte trostloser sein können als dieser. Das Frühstück fiel aus, da niemand im Stande schien, auch nur einen Bi s sen zu sich zu nehmen. Mira sorgte dafür, dass Rigos sterbliche Übe r reste möglichst ansehnlich waren, dann brachten die Inselbewohner ihn in die Grabkammer unter der Halle der Krieger. Nalig hasste di e sen düsteren Ort. Er fragte sich, wie viele seiner Kameraden er noch hier hinuntergeleiten würde und wann er selbst an der Reihe war. Nachdem Rigos Leichnam hinter der steinernen Platte verschwunden war, trennten sich alle wortlos. Nalig lief im Tempel umher. Er ve r suchte angestrengt, an nichts zu denken, während er so tief in Geda n ken versunken war, wie schon lange nicht mehr. Auf seiner ziellosen Wanderschaft
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