Die Insel der Krieger
leicht zu übersehen war. Zalari war sich leider nicht ganz sicher, ob die Felsspalte breit genug war, um seiner Begleiterin den Zutritt zu ermö g lichen. Die Höhle dahinter war allemal groß genug, doch konnten die breiten Schultern des Drachen ein Problem werden. Zalari hatte wenig Hoffnung, dass er ein besseres Versteck finden würde und so b e schloss er, es zu versuchen. Die Zeit drängte, denn die Kreaturen schienen in der Dämmerung aktiv zu werden und immer häufiger kreisten einzelne der Wesen am Himmel. Der Junge eilte zurück zu seiner Begleiterin und beschrieb ihr den Weg so präzise wie möglich. Viele Anhaltspunkte gab es nicht. Dann spähte Zalari unter dem Fel s vorsprung hervor und passte einen Moment ab, in dem die Luft rein war. Wie ein Pfeil schoss Kir mit Zalari und dem Kornblumenpulver den Berg hinab zu der Stelle, die er ihr beschrieben hatte. Einen bren z ligen Augenblick lang fand Zalari den Eingang nicht. Es war nur eine Daumenbreite, die zwischen Kirs Schulter und dem Gestein lag, als sie sich in die Höhle wand und ihr Schwanz verschwand in dem Moment, als zwei Kreaturen aus dem Berg aufflogen. Kaum, dass Kir in den hinteren Teil der Höhle getreten war, rollte sie sich zusammen und schlief ein. Zalari fragte sich, ob es sie mehr Kraft kostete, so lange verwandelt zu sein. Der Junge beschloss, am Höhleneingang Wache zu halten. Dazu setzte er sich an die Felswand gelehnt auf den Boden und blickte durch die Spalte hinaus. Das Schlagen vieler hundert Flügelpa a re verriet ihm, dass die Flugechsen ihr Nest verließen. Immer wieder fielen Schatten über Zalari, wenn eine der Kreaturen vorüberflog. Der Zweck ihres Ausschwärmens war wohl ein Beutezug, denn viele der Wesen hielten Rinder und Schafe, aber auch Hirsche in den Klauen, als sie zurückkehrten. An das fortwährende Gekreische hatte sich der Junge schon beinahe gewöhnt. Es dauerte nicht lange, bis die Anspa n nung der letzten Stunden und Tage ihren Tribut forderte. Eine tiefe Erschöpfung machte Zalaris Glieder bleischwer. Immer wieder stand er auf und lief vor dem Höhleneingang auf und ab, um sich wach zu halten. Doch dann, als er an die Höhlenwand gelehnt, kurz die Augen schloss, schlief er ein. Es war noch mitten in der Nacht, als er davon erwachte, dass etwas vor ihm saß und ihn einfach nur anstarrte. Zalari öffnete die Augen und sah zwei rot glühende Punkte direkt vor sich. Panik wallte in ihm auf und er sah sich nach seinem Bogen um.
Nalig trat tiefer in die Höhle und kniff die Augen in der Hitze z u sammen, die den Flammen in den Mauernischen entsprang. Merlin zog es vor, draußen auf ihn zu warten. Die Höhle verbreiterte sich zu einem hohen, kuppelförmigen Raum, in dem, doppelt so groß wie Nalig, die Statue einer Frau stand. Drei Stufen führten zu ihr hinauf. Es schien, als wäre sie direkt aus dem Gestein der Höhle gehauen und was die Ausführung anging, war sie ein wahres Kunstwerk. In den Händen, die sie vor dem Körper ausstreckte, hielt sie eine große, fl a che Schale. Sie war von schlanker Gestalt und trug ein bodenlanges Kleid, das die Rundungen ihres Körpers deutlich betonte. Ihre weiten Ärmel hingen ebenfalls bis zum Boden herab, wo sie, wie der Saum ihres Kleides, mit dem Fels des Höhlenbodens verschmolzen. Doch ansonsten hatte die Statue nichts Schönes. Kaya hatte dem Jungen gesagt, dass das Orakel nicht hörte, sah und sprach. Nun wusste er, was sie gemeint hatte. Die Lippen der Frau waren zusammengenäht. In ihren Ohren steckten Pfähle und aus dem Inneren ihres Kopfes wanden sich zwei Schlangen aus ihren leeren Augenhöhlen und ve r schlangen ihre Augäpfel. Der Anblick schockierte Nalig. Weshalb schuf jemand mit so viel Geschick etwas so Scheußliches? Es kostete ihn einige Mühe, den Blick von dem grotesken Bild abzuwenden. Er trat nach vorn und stieg die Stufen zu der Statue hinauf. Er blickte in die Schale in ihren Händen. Sie war mit Wasser gefüllt und obwohl kein erkennbarer Schmutz darin schwamm, war das Wasser trüb und er konnte nicht bis auf den Boden der Schale sehen. Nalig blickte in das entstellte Gesicht der Statue und wartete darauf, dass etwas g e schah. Dann fiel ihm ein, dass er dem Orakel erst eine Frage stellen musste. Kaya hatte ihm geraten, seine Formulierung gut zu überde n ken. Je präziser seine Frage war, desto vager sollte die Antwort ausfa l len. Leider war Nalig auf seinem Weg durch den Wald nicht dazu gekommen, über seine Formulierung nachzudenken. Zu sehr
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