Die Insel der Krieger
er, wie er es schaffen konnte, sie alle zu vernichten.
Naligs Rückweg verlief erstaunlich ereignislos. Er machte einen Umweg über die Lichtung mit dem Stein, dem der Schafbock en t sprungen war. Dort ruhte er sich aus, da er wusste, dass das Grauen den Ort mied. Doch dieser Aufwand wäre wohl nicht notwendig g e wesen, denn das Grauen behelligte ihn auf seinem Weg zum Tempel kein einziges Mal. Auf seiner Wanderung hatte Nalig viel Zeit darüber nachzudenken, was das Orakel ihm gezeigt hatte. Auf viele Weisen versuchte er, die einzelnen Bilder in Zusammenhang zu bringen. Doch keine davon überzeugte ihn. Erschöpft kam der Junge im Tempel an, wo sein erster Weg zu Ilia führte. Er fand das Mädchen schlafend vor, obwohl es noch nicht spät am Tag war. Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante und nahm Ilias Hand. Das genügte, um sie aufzuwecken. Sie blinzelte verschlafen, richtete sich jedoch sofort auf, als sie Nalig erkannte. »Du bist zurück«, stellte sie fest und umarmte ihn. »Du warst lange fort. « »Drei Tage«, erwiderte Nalig. »Es ist ein weiter Weg zum Orakel, wenn man zu Fuß gehen muss. « »Das Wichtigste ist, dass du zurück bist. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. « »Mir geht es gut. Aber was ist mit dir? « Ilia ließ die Schultern hängen. »Ich fühle mich erschöpft. Alles ist so furchtbar anstrengend. Selbst wenn ich nur ein paar Schritte gehe. Mira sagt, es wäre besser, wenn ich im Bett bleibe. « »Dann solltest du auf Mira hören. War das Grauen beim Tempel, während ich weg war? « »Nein. Ich habe es nicht gesehen. Und soweit ich weiß, auch niemand sonst. « »Das ist wirklich merkwürdig«, wu n derte sich Nalig. »Ich habe es auch seit zwei Tagen nicht gesehen. « »Vielleicht ist es fort«, mutmaßte das Mädchen hoffnungsvoll. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Ist Zalari schon zurück? « Ilia schüttete den Kopf. »Nein, das ist er nicht. « Nalig legte die Stirn in Falten. »Das sollte er aber. Auf dem Festland ist eine Menge Zeit vergangen, seit er den Tempel verlassen hat. « »Ich habe nicht einmal mitbekommen, wann er gegangen ist. Weshalb hat er sich nicht verabschiedet? « Der Junge seufzte. »Er hatte seine Gründe. Auch ich habe nur durch Zufall mitbekommen, dass er weggeflogen ist. Er wollte mit seinem unb e merkten Verschwinden sicher niemanden kränken. « Nalig beschloss, Ilia Ruhe zu gönnen. Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ die Kammer neben der Küche. Es zog ihn in die Halle des Schicksals, wo er mit vor der Brust verschränkten Armen stehen blieb und das Wandgemälde betrachtete. In all der Zeit, die er auf Kijerta verbracht hatte, war er viele Male durch diese Halle geschritten. In seiner ersten Nacht hatte er sogar hier geschlafen. Doch wirklich angesehen hatte er das Gemälde nie. Nun ließ er den Blick über die bemalte Decke und die Wände schweifen. Besonders schlau wurde er aus den farbenpräc h tigen Darstellungen nicht. Auch Merlin war keine Hilfe. Der Vogel interessierte sich grundsätzlich nicht für Dinge, die sich nicht bewe g ten. »Schon zurück? « , hörte Nalig eine Stimme hinter sich. Kaya war durch die verborgene Tür hereingekommen. »Ja«, bestätigte Nalig, wandte den Blick jedoch nicht von der Malerei ab. »Und hat dir das Orakel weitergeholfen? « »Ich bin nicht sicher. « Kaya trat neben Nalig und betrachtete ebenfalls Decke und Wände der Halle. »Könnt Ihr mir sagen, was dieses Gemälde bedeutet? « Die Göttin sah ihn mit einem Blick von der Seite an, den Nalig nicht erwiderte. »Es ist die Geschic h te des Urvaters aller Götter«, erklärte sie. »Wie viel davon wahr ist, weiß ich nicht. « Kaya deutete in die rechte obere Ecke an der Decke über dem Portal. Nalig folgte ihrem Fingerzeig mit den Augen und sah die Darstellung eines Mannes mit braunem Haar, der gerade dabei war, sich einer Wolke zu entwinden, die noch seine Beine umhüllte. »Der Urvater aller Götter war, so sagt man, einst ein Wesen, das körperlos, nur aus Luft und Licht bestehend, über die Erde wachte. Er hielt das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse und schützte die Menschen. Dann jedoch zog großes Unheil herauf und die Welt der Menschen drohte, im Chaos zu versinken. « »Und wie hat dieses Unheil ausges e hen? « Kaya schüttelte den Kopf. »Was genau geschah, kann ich nicht sagen«, erklärte sie. »Aber die Menschen begannen sich zu bekriegen und einander abzuschlachten. Die acht Königreiche, wie es sie heute gibt, haben
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