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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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nichts mehr von seiner Härte zu spüren. In seinen Augen schimmerte dieselbe Wehmut, die sie empfand.
    Leah wusste nicht, wo sie hinschauen, was sie sagen sollte. Mit einem Mal fühlte sich alles falsch an. Sie hätte auf ihren Instinkt hören und gehen sollen. Was erwartete sie? Dass er noch immer seiner verlorenen Liebe nachtrauerte? Ihr anbot, seine Familie zu verlassen und neu anzufangen? Sie schloss die Augen, horchte tief in sich hinein. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass sie ihn nicht mehr liebte. Sie hatte die Erinnerung an ihre große Liebe all die Jahre bewahren können, nicht jedoch die Liebe selbst. Sie gehörte zu Bertrand, so wie sich Boon Lee seiner Gemahlin verpflichtet fühlte. Vielleicht hegte er mittlerweile ebenso tiefe Gefühle für seine chinesische Prinzessin wie sie für Bertrand?
    Leah schlug die Augen wieder auf und erhob sich aus dem Sessel. Sie wollte Boon Lee auf Augenhöhe begegnen. »Ich hatte tatsächlich nicht vor, dich aufzusuchen«, sagte sie. »Doch es gibt da etwas, das ich mit dir besprechen muss.« Sie suchte in seinem Gesicht nach einem Hinweis, doch er sah sie offen und neugierig an. Er wusste es nicht. Johanna hatte auch ihn betrogen.
    Sie holte tief Luft. »Du hast eine Tochter«, sagte sie.
    »Nun, ich habe sogar zwei. Zwei Töchter und zwei Söhne.« Er runzelte in leichter Verärgerung die Stirn. »Damit musstest du gerechnet haben, Leah. Hast du auch Kinder?«
    »Ja, einen Sohn. Einen Sohn und eine Tochter. Das Mädchen ist neuneinhalb Jahre alt.«
    »Dann ist sie sogar älter als Soo, meine Erste.« Er stutzte. Leah sah es in seinem Gesicht arbeiten, er rechnete wohl, und dann erbleichte er. Schwer sank er gegen die Stuhllehne. »Warum hast du es mir nicht erzählt?«
    »Weil ich eben erst erfahren habe, dass sie noch lebt!« In abgehackten Sätzen erzählte sie ihm von der vermeintlichen Totgeburt, von ihrer Trauer und von den Geschehnissen des heutigen Tages. Als sie geendet hatte, wurde es so still, dass Leah das leise Flattern eines Falters zu hören glaubte, der zum Fenster hereingeschwebt kam und den Weg in die Freiheit nicht mehr fand. Boon Lee brach das Schweigen als Erster.
    »Was hast du jetzt vor?«
    »Sie zu mir nehmen, natürlich.«
    »Natürlich? Und die Konsequenzen?« Er beugte sich vor. Der harte Zug um seinen Mund kehrte zurück. »Über eines musst du dir im Klaren sein: Ich werde das Kind nicht anerkennen. Es ist zu spät. Ich muss an meine Familie denken, an die anderen Kinder.« Er hob die Hand, um ihren Einwand zu unterbinden. »Hör mich an, dann kannst du immer noch toben und wüten. Du hast einen Sohn, sagtest du. Gibt es auch einen passenden Ehemann?«
    Leah nickte, verblüfft über Boon Lees Autorität. Diese Seite von ihm kannte sie nicht. Vielleicht war sie erst zum Vorschein gekommen, nachdem der Schatten seines übermächtigen Vaters von ihm gewichen war.
    »Dann unternimm nichts Unüberlegtes. Ich gehe davon aus, dass dein Mann nie von mir gehört hat, und das sollte auch so bleiben. Wahrscheinlich lässt er dir viele Freiheiten, aber wie viel Toleranz darfst du erwarten, wenn er erfährt, dass seine Frau die Mutter eines chinesischen Bastards ist?«
    Die Worte trafen Leah wie Schläge. Boon Lee sprach aus, was sie nicht zu denken gewagt hatte. Lily zu gewinnen bedeutete, Bertrand zu verlieren. Bertrand und Thomas. Ihr Mann konnte in diesem Fall nicht zu ihr stehen, selbst wenn er wollte. Die Verantwortung für den guten Ruf der Familie, für Thomas durfte er nicht in den Wind schlagen. Boon Lee beobachtete schweigend ihren inneren Kampf. Irgendwann legte er seine Hand an ihre Wange. Sie war kühl. Oder empfand sie es nur so, weil sie selbst glühte? Leah fühlte sich fiebrig, matt und krank.
    »Lass es, wie es ist«, sagte er überraschend sanft. »Manchmal begegne ich deiner Schwester und den Kindern, wenn sie bei John Little einkaufen, manchmal bei einer sonntäglichen Ausfahrt. Ich habe sie sogar schon alle gemeinsam in einer der chinesischen Garküchen essen sehen. Dein alter Freund, Koh Kok – er begleitet sie oft. Lily wächst so auf, wie du es dir für sie gewünscht hättest. Soweit ich es beurteilen kann, ist sie ein fröhliches Kind, es könnte ihr nicht besser gehen. Ich vermute übrigens, dass Johanna geahnt hat, ich würde Lily nicht anerkennen, sonst hätte sie mich längst in Kenntnis gesetzt.«
    Sie sprachen nicht mehr viel. Bald erhob sich Leah zum Gehen. Boon Lee wollte sie nach unten begleiten, doch sie

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