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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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festliche Gesellschaft. Friedrich war es nicht wert, sich seinetwegen die Stimmung verderben zu lassen.
     
    Friedrich kam weder in der Nacht nach Hause noch ließ er sich zur Verabschiedung der Zwillinge am Hafen blicken. Als man auch am dritten Tag nichts von ihm hörte, schlug Johannas Ärger in Sorge um. Immer wieder gelobte sie, sich seinetwegen nicht mehr den Schlaf rauben zu lassen, aber das war leichter gesagt als getan. Erneut beschlich sie das unheimliche Gefühl, das sein seltsames Verhalten bei dem Fest in ihr ausgelöst hatte. Mechanisch ging sie den Tag über ihren Pflichten nach, sah im Orchid Hospital nach dem Rechten, besprach mit Franklin Cameron das Angebot zur Übernahme eines Postens Kaffeebohnen aus Java und half Dinah bei ihren Schulaufgaben. Ihre Unruhe wuchs jedoch stündlich, auch wenn sich Johanna innerlich dafür schalt.
    Am Abend, als die Kinder bereits schliefen, ging sie zu den Robinsons hinüber. Mercy und Andrew gaben sich Mühe, ihre bösen Vorahnungen zu zerstreuen, jedoch vergeblich. Bei jedem Hufgetrappel, jedem Türenschlag hastete Johanna zum Gartentor und spähte zu ihrem Bungalow hinüber. Der Abend war weit fortgeschritten, als tatsächlich jemand vor ihrer Gartenpforte sein Pferd zügelte. Im Licht der neuen Gaslampen, die seit einigen Jahren die Straßen von Singapur statt der früheren Ölfunzeln beleuchteten, erkannte sie den Reiter als Edward Hayward, Oberinspektor der Polizei. Sie stürzte auf die Straße. Mercy und Andrew, alarmiert von ihrem Aufschrei, folgten ihr auf dem Fuße.
    »Was ist geschehen? Meinem Mann ist etwas zugestoßen, nicht wahr?«
    Hayward stieg vom Pferd und rückte seine Jacke zurecht. Seine betretene Miene verriet nichts Gutes. Mercy stellte sich neben Johanna und zog sie an sich.
    »Reden Sie schon, Hayward«, blaffte sie.
    »Ihr Mann ist gefunden worden, Mrs von Trebow«, sagte Hayward und fixierte dabei seine Schuhspitzen.
    Nur langsam begriff Johanna, was der Inspektor berichtete: Indische Erntearbeiter hätten am Morgen in einem der Obstgärten an der Orchard Road einen weißen Mann gefunden. Entsetzt wären sie geflüchtet und hätten sich erst am Nachmittag getraut, Meldung zu machen. Man habe Friedrich vom Ast eines Rambutanbaums geschnitten, jede Hilfe kam zu spät.
    Johannas Augen blieben trocken. Sosehr sie in ihrem Herzen danach suchte, sie empfand keinerlei Trauer. Natürlich erschütterte sie Friedrichs Freitod, doch ein Satz geisterte ihr durch den Kopf, noch Stunden nachdem der Polizist gegangen und sie Mercy und Andrew verabschiedet hatte, unaufhörlich wie ein Mantra: So unwürdig, wie Friedrich gelebt hatte, so unwürdig war er gestorben.
    * * *
    FRIEDRICH FREITOD 18 .  JULI 1874  ++ ALLE ANDEREN WOHLAUF  ++ BRIEF FOLGT  ++ JOHANNA
     
    Henry ließ das Telegramm auf seinen Schreibtisch sinken. Mit zwei kargen Wörtern drückte Johanna das Unfassbare aus. Er stützte das Gesicht in die zitternden Hände. Seine Gedanken überschlugen sich. So viele Fragen blieben offen, und es würde Wochen dauern, bis Johannas Brief den langen Weg nach London fand. Ging es ihr wirklich gut? Was war Friedrichs Selbstmord vorausgegangen? Gab es einen Auslöser? Im Grunde wusste er kaum noch etwas über Johannas Leben. In den Briefen, die sie ihm in großen Abständen schrieb, ging es hauptsächlich um Geschäftliches, bevor ein kurzer Abriss der Begebenheiten in Singapur folgte. Sie vermied es, ihm Einblicke in ihre Seele zu gewähren, und er hielt es ebenso.
    Sein Magen ballte sich zusammen wie nach einem Faustschlag. Tränen traten ihm in die Augen und schwemmten alle bösen Gedanken fort, die er je über Friedrich gehegt hatte. Hätte er den einstigen Freund retten können, wenn er nicht nach England geflohen wäre? Hatte er damals eine falsche Entscheidung getroffen?
    Lange saß Henry an seinem Schreibtisch, taub für die Geräusche aus dem Lager, für die Flüche der Fuhrkutscher, das Lachen und die Scherze der Dockarbeiter, die von der sonnenglühenden Straße durch sein geöffnetes Fenster wehten. Erst ein Tumult im Gang ließ ihn aufhorchen. Oscars helle Kinderstimme war zu vernehmen, schrill und aufgebracht, unterbrochen von einem tiefen Männerbass. Henry stand auf. Im selben Moment sprang die Tür auf, und sein zehnjähriger Sohn stürmte herein, Mr Ferguson, sein eurasischer Assistent, unmittelbar hinter ihm. Ferguson legte beruhigend eine Hand auf Oscars Schulter. Sofort schüttelte der Junge sie mit einer so angewiderten Miene

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