Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
Vom Netzwerk:
ab, dass Henry innerlich zusammenzuckte. Ferguson zog die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.
    »Nimm deine schmutzigen Hände von mir!«, brüllte der Knabe. Rote, der Aufregung geschuldete Flecken überzogen sein helles Gesicht.
    Henry erstarrte.
    »Du hast mir gar nichts zu sagen, Chinesenbastard!«, schrie Oscar mit sich überschlagender Stimme.
    Henry rang um Fassung. Endlich fand er seine Stimme wieder. »Wie kannst du es wagen?« Mit zwei schnellen Schritten war er bei seinem Sohn und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Oscar, der körperliche Züchtigungen nicht gewohnt war, verstummte. »Ich dulde nicht, dass du meine Mitarbeiter beleidigst, egal, welche Hautfarbe sie haben. Hast du mich verstanden?«, zischte Henry. Er stieß den Jungen in Richtung seines ehemaligen Kompradors. Ferguson war Henry, der große Stücke auf ihn hielt und ihm voll und ganz vertraute, schon vor Jahren nach Europa gefolgt und hatte als Eurasier in London auch ohne die Beleidigungen seines Sohnes einen schweren Stand.
    »Er darf mir nichts verbieten.« Wütend trat Oscar mit dem Fuß auf. »Niemand darf mir etwas verbieten. Das ist meine Firma.«
    »Bis es so weit ist, fließt noch viel Wasser die Themse hinunter«, sagte Henry gefährlich ruhig. »Und jetzt entschuldigst du dich.«
    »Ich entschuldige mich nicht bei Lakaien.« Auch die zweite Ohrfeige traf den Jungen unvorbereitet. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Henry prallte vor dem Hass zurück, der daraus hervorschoss. Wie konnte ein so junger Mensch zu derart abgründigen Gefühlsregungen fähig sein?
    Mühsam presste sich Oscar schließlich eine Entschuldigung ab. Ferguson zog sich zurück. Henry wies seinen Sohn an, in einem der Sessel Platz zu nehmen und den Mund zu halten. Er selbst ließ sich wieder hinter dem Schreibtisch nieder und täuschte Arbeit an seinen Papieren vor, während er Oscar unauffällig musterte. Der Junge beruhigte sich langsam, bis sein Gesicht den üblichen verdrießlichen Ausdruck annahm. Henry seufzte. Amelia hatte ganze Arbeit geleistet.
    Zum hundertsten Mal fragte sich Henry, ob es eine gute Idee gewesen war, den Landsitz vor den Toren von London zu kaufen. Amelia liebte das Anwesen, zumal sich zu ihrem grenzenlosen Entzücken herausgestellt hatte, dass sich unter ihren Nachbarn einige Baronets und sogar ein Earl befanden. Sie kam nur selten in die Londoner Stadtwohnung, ging stattdessen völlig darin auf, Teeveranstaltungen mit Freundinnen und große Diners auszurichten. Da Henry unter der Woche in London arbeitete und auch an den Wochenenden oft in der Stadt festgehalten wurde, sahen sich die Eheleute nur selten; ein Arrangement, mit dem beide zufrieden waren – bis Henry vor einiger Zeit mit Entsetzen bemerkt hatte, welche Früchte Amelias Erziehung hervorbrachte: Aus Oscar, in jungen Jahren ein weinerliches Kind, war ein missgünstiger und überheblicher Junge geworden, dem Henry, so schmerzhaft es auch war, schon jetzt jede Niedertracht zutraute. Gegen Amelias vehementen Widerstand hatte er Oscar zu sich genommen und in einer Schule in der Stadt angemeldet. Er betete jeden Abend, dass es nicht zu spät war, dem Jungen Anstand und Respekt zu vermitteln.
    Erst eine Stunde später erlöste er Oscar von dem erzwungenen Stillsitzen. Es wurde Zeit, nach Hause zu fahren und sich für den Nachmittag umzuziehen. Zwar stand ihm der Sinn nicht nach Zerstreuung, doch es hatte ihn derart viel Mühe gekostet, Plätze für sich und den Jungen im Vortragssaal der Royal Society zu ergattern, dass er die Eintrittskarten nicht verfallen lassen wollte. Skeptisch zauste er dem neben ihm gehenden Jungen durchs Haar. Hätte man ihm selbst als Kind ein derartiges Erlebnis ermöglicht, über Wochen hätte er kein Auge zutun können vor Aufregung. Anders sein Sohn: Oscar zeigte keinerlei Interesse oder gar Freude. Henry konnte nur hoffen, dass Alfred Russel Wallace, der am heutigen Nachmittag über seine abenteuerlichen Reisen im malaiischen Archipel berichten würde, bessere Worte fand als er selbst, um in seinem Sohn einen Funken zu entzünden.
     
    Der Saal in Burlington House war bis auf den letzten Platz besetzt. Die meisten Zuhörer waren Männer, doch hier und da taten sich Frauenkleider und -hüte wie bunte Vögel in einer Schar von Krähen hervor. Es befanden sich nur zwei oder drei Kinder unter den Besuchern, was Henry nicht wunderte, waren sie doch im Kreis der Erwachsenen nicht gern gesehen. Auf den Zuhörerrängen ging es zu wie in

Weitere Kostenlose Bücher