Die Insel der Orchideen
Kissen. Bertrand mied ihren Blick, offensichtlich um Worte verlegen. Leah wurde unruhig. »Also?«
»War Farnell der Mann, den du geliebt hast?«
Leah lachte auf. »Nein, nicht Henry.«
»Ich hatte versprochen, dich nie zu fragen, aber du warst so durcheinander, als er heute Nachmittag erschien …« Er brach ab.
Leah streckte den Arm aus und strich ihm über die Wange. Zärtlichkeit für ihren fürsorglichen, verständnisvollen und ein wenig verrückten Mann überwältigte sie. Ihre tiefe Liebe zu Bertrand hatte mit der wahnsinnigen Leidenschaft, die Boon Lee in ihr entfacht hatte, nichts gemein, doch um nichts in der Welt würde sie tauschen wollen.
»Es war nicht Farnell«, wiederholte sie. »Bitte sorge dich nicht wegen dieses anderen Mannes. Es ist so lange her, ich denke gar nicht mehr an ihn.« Leah sah keine Veranlassung, Bertrand zu verletzen. Natürlich dachte sie manchmal an ihren chinesischen Liebhaber, aber die Erinnerung an ihn war im Laufe der Jahre verblasst. Das einzige Band, das noch zwischen ihnen bestand, war Lily, die verleugnete Tochter. Leah schluckte hart. Besser nicht an Lily denken.
»Ich liebe dich«, sagte sie ruhig. »Du bist das große Glück meines Lebens. Du und Thomas.«
»Farnell war mir spontan sympathisch. Ich hätte ihn akzeptieren können.«
»Du bist wirklich unmöglich.«
»Hättest du mich sonst geheiratet?«
»Auf keinen Fall.«
Sie beugte sich vor und schlang ihre Arme um seinen Hals. »Komm zu mir«, flüsterte sie und schickte ihre Hände auf die Reise. Streichelte die helle, unbehaarte Brust unter seinem weiten Schlafhemd, tastete sich tiefer. Spielerisch erst, dann forsch umfasste sie sein hartes Glied, bis er keuchte. Schnell entledigte sie ihn seiner Wäsche und zog auch ihr eigenes Hemd über den Kopf. Im hellen Licht der Gaslampe, nackt und ohne Scham, liebkosten sie ihre Körper, Zärtlichkeit schlug in Lust um, und endlich ließ Leah sich auf ihn sinken, nahm ihn ganz in sich auf.
* * *
Johanna zupfte eine verwelkte Hibiskusblüte von dem Strauch, den sie und die Kinder neben Spinnenlilien und Orchideen auf Friedrichs Grab gepflanzt hatten. Der Strauch war in den anderthalb Jahren seit der Beerdigung ordentlich gewachsen; wenn sie das nächste Mal kam, musste sie unbedingt eine Schere oder besser gleich eine kleine Säge mitbringen, um den Wildwuchs einzudämmen. Sie hatte um diesen Bestattungsplatz direkt neben ihrer Mutter kämpfen müssen, selbst der großherzige Reverend Keasberry hatte Bedenken geäußert, einen Selbstmörder auf dem Gottesacker zu begraben. Erst durch die Fürsprache gewichtiger Mitglieder der christlichen Gemeinde von Singapur hatte Johanna ihren Willen durchsetzen können.
Nachdenklich betrachtete sie den schlichten Stein. Lediglich Friedrichs Name sowie Geburts- und Sterbedatum waren darauf vermerkt, ein tröstender Spruch fehlte. Sie hatte damals keine guten Worte finden können für den Mann, der nicht nur sein eigenes Leben ruiniert, sondern auch sie und die Kinder unter seiner Schwäche und Feigheit hatte leiden lassen. Die Zeit hatte sie milder gestimmt, sie hatte ihren Frieden mit ihm gemacht. Seine Gefangenschaft bei den Piraten, das war ihr im Nachhinein klargeworden, hatte ihn nicht nur äußerlich gezeichnet, auch seine Seele hatte für immer Schaden genommen. Hätte sie es nur früher begriffen, vielleicht hätte sie ihn noch auf den rechten Pfad bringen können. »Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut«, hatte Onkel Koh den alten chinesischen Weisen Laotse zitiert, lange vor Friedrichs Freitod, »sondern auch für das, was man nicht tut.«
Johanna wischte den unerquicklichen Gedanken beiseite. Sie hatte sich nichts vorzuwerfen. Wie oft hatte sie versucht, Friedrich ins Gewissen zu reden, doch er hatte sie wieder und wieder zurückgestoßen. Ihm war nicht zu helfen gewesen.
Ein letztes Mal strich sie über den Stein. Es war noch Platz für freundliche Worte. Sie sollte sich mit dem Steinmetz beraten.
Rasch ging sie Richtung Orchard Road davon, wo eine Mietkutsche auf sie wartete, sie hatte einen Termin in der Stadt. Das Leben ging weiter, und es fiel ihr erstaunlich leicht, sich seinen mannigfaltigen Anforderungen zu stellen. Vielleicht, weil sie Friedrichs Abwesenheit im Alltäglichen gar nicht bemerkte – wenn überhaupt, nur durch ihr neuerdings prall gefülltes Bankkonto. Seit seine Eskapaden nicht mehr finanziert werden mussten, flog ihr das Geld förmlich zu. Ihr Selbstvertrauen, was
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