Die Insel der Orchideen
anderen hätte sie das Geschenk mit Freuden entgegengenommen, doch nicht von Bowie. Bei ihm würde sie immer das Gefühl haben, in seiner Schuld zu stehen.
»Und ich will keinen Dank«, ergänzte er, als läse er ihre Gedanken. »Geben Sie mir die Möglichkeit, etwas Gutes zu tun.« Sein Lächeln war so entwaffnend, dass Johanna aufseufzte.
»Sie nehmen es nicht zurück?«
»Niemals.«
»Dann bedanke ich mich im Namen aller kranken und geschundenen Frauen dieser Stadt.« Sie schüttelte ihm über den Tisch hinweg die Hand. Dann ließ sie das Dokument in ihre Tasche gleiten.
»Die Handwerker stehen auf Abruf bereit.« Mit diesen Worten zog Bowie ein weiteres Papier aus seiner Tasche. Verlegen breitete er es auf dem mittlerweile abgeräumten Tisch aus. »Ich habe bereits einige Ideen aufgezeichnet. Wollen Sie sie sehen? Natürlich steht es Ihnen frei, mit dem Haus zu verfahren, wie Sie es für richtig halten«, beeilte er sich hinzuzufügen.
Eine Tasse Kaffee und zwei Gläser Wein später rollte Bowie die Zeichnungen wieder zusammen. Johanna spürte ihre Wangen vom ungewohnten Alkohol und der Aufregung glühen. Mit Elan und überraschender Fachkenntnis war es Bowie gelungen, ihre Vorbehalte zu zerstreuen. Er ließ durchblicken, dass er gern weiterhin involviert bliebe, und sie stimmte zu, freute sich sogar auf eine Zusammenarbeit. Seit langer Zeit hatte sie sich nicht so gelöst gefühlt wie an diesem denkwürdigen Vormittag.
»Möchten Sie noch ein Glas Wein?«
»Nein danke.«
»Dann einen Saft?«
»Gern. Aber danach muss ich los. Ich habe Dinah versprochen, mir den Nachmittag für sie freizuhalten.«
»Das geht natürlich vor.« Bowie rollte den Stil seines leeren Weinglases zwischen den Fingern. »Johanna, ich möchte noch etwas mit Ihnen besprechen.«
Sein dringlicher Ton ernüchterte Johanna mit einem Schlag. Eine Ahnung beschlich sie.
»Sie wissen, dass ich nie viel von Friedrich gehalten habe«, fuhr er fort. Sein Blick bohrte sich in ihren. »Wahrscheinlich wissen Sie auch, dass ich vor vielen Jahren drauf und dran war, seine Firma zu kaufen. Henry Farnell hat es verhindert, Friedrich bekam dank ihm eine zweite, eine dritte, eine vierte Chance, nur hat er keine davon genutzt. Ich will nichts beschönigen: Der Niedergang Ihres Mannes hielt die Hoffnung in mir am Leben, er würde nach Europa zurückgehen und Sie freigeben. Ich habe Sie unterschätzt. Sie haben immer zu ihm gehalten. Doch jetzt sind Sie frei.«
»Ross, nein! Fragen Sie nicht. Ich werde niemals einwilligen, Ihre Frau zu werden.«
Das Glas zersprang in seiner Hand. Blut tropfte auf die blütenweiße Spitzentischdecke. Er merkte es nicht. »Sie haben schon einmal eingewilligt.«
Johanna bekam eine Gänsehaut. Ihre Verlobungszeit lag beinahe zwanzig Jahre zurück. Wütend riss sie die Besitzurkunde aus ihrer Tasche, zerknüllte sie und warf sie zwischen die Glasscherben.
»War das der Grund dafür?«, sagte sie, mühsam darum bemüht, die Stimme zu dämpfen. »Wollten Sie mich kaufen?«
»Natürlich nicht. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.«
»Es ist sinnlos, Ross. Ich achte Ihre Gefühle für mich, aber achten Sie Ihrerseits, dass ich sie nicht erwidere.«
»Ist das Ihr letztes Wort?«
»Ja.«
Johanna schauderte unter seinem plötzlich stumpf gewordenen Blick. Sie sah seinen Kiefer mahlen.
»Dann gehe ich jetzt. Leben Sie wohl, Frau von Trebow.« Bowie erhob sich abrupt, drückte dem herbeieilenden Kellner ein paar Münzen in die Hand und ging zum Ausgang, die Schultern gebeugt, die Arme hängend. Johannas Herz krampfte sich zusammen. Warum nur musste die Liebe so zerstörerisch sein? Hätte sie einwilligen sollen? Ross Bowie würde sie auf Händen tragen, dessen war sie gewiss. Sie stand ebenfalls auf, tat einen Schritt in seine Richtung, noch einen und noch einen. Und hielt inne. Es genügte einfach nicht, wenn nur einer liebte.
Bevor sie das Café verließ, klaubte sie die zerknüllte Urkunde aus den Scherben und strich sie glatt. Was sollte sie bloß mit diesem ungewollten Geschenk anfangen?
23
Oktober 1882 , sechs Jahre später
I ch fasse es nicht.« Johanna brach eine dritte und vierte Kiste auf, wühlte durch den Inhalt und förderte schließlich eine Handvoll Tee zutage. Sie zerkrümelte die Blätter und schnupperte daran.
» Verdorben, völlig verdorben.«
Franklin Cameron hob entschuldigend die Hände. »Ich weiß nicht, warum. Als ich die Ladung in Hongkong übernahm, war alles in Ordnung.«
Johanna
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