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Die Insel der Orchideen

Die Insel der Orchideen

Titel: Die Insel der Orchideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: white
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Veranda und beobachteten das Treiben unter ihnen, bis sich Johanna an ihre Pflichten erinnerte. »Ich werde nach Mama sehen«, sagte sie.
    »Das ist nicht nötig, sie unterhält sich prächtig. Dort drüben sitzt sie, siehst du?« Leah zeigte auf eine Gruppe von vier oder fünf ins Gespräch vertiefte Damen, alle etwa im Alter ihrer Mutter. Johanna erkannte Sophia Cooke, die Leiterin der Mädchenschule, sowie die in ihre dunkle Ordenstracht gewandete Mutter Raclot, die mit drei weiteren katholischen Nonnen eine Schule und ein Waisenhaus gegenüber der Kathedrale zum Guten Hirten führte.
    »Ich habe auch gestaunt, dass die Nonne hier ist«, bemerkte Leah. »Ich bewundere die Frau. Sie hat Tatkraft für drei und viel Humor. Übrigens versucht sie, Mama für ehrenamtliche Arbeit zu gewinnen.«
    »O nein. Mama ist doch noch viel zu schwach.«
    »Das ist sie nicht«, sagte Leah. »Mama ging es schlagartig besser, als Papa seine Rückkehr ankündigte. Sie wird es genießen, mit den chinesischen Waisenmädchen zu arbeiten.«
    »Aber die Oberin ist doch katholisch. Was wird Papa sagen?«
    »Ach, Johanna. Du weißt genau, dass es Papa egal ist. Ein gutes Werk ist ein gutes Werk, sagt er immer, gleichgültig ob von einem Protestanten, einem Heiden oder sogar einem Katholiken ausgeführt.«
    »Ach, bevor ich es vergesse«, fügte sie beiläufig hinzu, »mich hat Mrs Cooke angeworben: Ich werde einmal in der Woche in ihrer Schule Zeichenunterricht erteilen.«
    »Wie bitte? Du?«
    »Ab heute musst du mich Frau Lehrerin nennen.«
    »Na dann, Frau Lehrerin. Sollte dies dein erster Schritt auf dem Weg zu einem wertvollen Mitglied der Gemeinde werden?«
    »Dumme Gans.« Leah grinste von Ohr zu Ohr, und diesmal nahm Johanna ihr die Beleidigung nicht übel.
    »Gans? Ich sehe nur zwei bezaubernde Paradiesvögel.«
    Die Schwestern fuhren herum. Vor ihnen stand ein Mann wie ein Bär. Groß, wuchtig, mit einem enormen Brustkasten, der sein blütenweißes Hemd beinahe sprengte. Als er sich verbeugte, erinnerte er Johanna jedoch an eine geschmeidige Raubkatze. Einen Tiger. Sie hatte kürzlich einen gesehen; man hatte ihn in einer Grube im Urwald gefangen und in einem Käfig ausgestellt.
    »Ross Bowie«, stellte er sich vor. Seine ungewöhnlich tiefe Stimme passte zu seinem Körper. »Wir wurden noch nicht bekannt gemacht, da ich Gastgeber und Kapellenmitglied in einer Person bin. Das hat mich allerdings in die beneidenswerte Situation versetzt, Sie den ganzen Abend beim Tanzen beobachten zu können, ohne als taktlos zu gelten, Miss …?«
    »Uhldorff. Johanna Uhldorff.« Johanna reichte ihm die Hand, die er griff und schüttelte, anstatt einen Handkuss anzudeuten. Mr Bowie war reich, schien im Umgang mit Damen jedoch wenig geübt. Johanna trat der kichernden Leah auf den Fuß, die daraufhin nicht mehr an sich halten konnte und laut herauslachte. Dann streckte auch sie Bowie die Hand hin und drückte kräftig zu.
    »Und Sie sind?«
    »Die missratene Schwester.«
    »Leah!«
    »Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Er musterte sie interessiert, dann sprang der Schalk in seine graugrünen Augen. »Würden Sie es mir übel nehmen, wenn ich Ihre wohlgeratene Schwester zum Tanzen entführte, Miss Leah? Ich habe den ungleich talentierteren Otto Puttfarken überreden können, meinen Platz am Piano einzunehmen.«
    Wie auf ein geheimes Zeichen hin setzte die Musik im leergeräumten Salon der Villa wieder ein. Leah zog ein übertrieben trauriges Gesicht. »Das hässliche Entlein weiß, wann es Zeit ist, sich zurückzuziehen.« Bevor Johanna sie zurechtweisen konnte, verschwand sie lachend im Gästegetümmel auf der Rasenfläche.
    Johanna tippte dem verblüfften Bowie auf den Unterarm. »Ich würde sehr gern tanzen«, sagte sie.
     
    Die Tür knarrte, dann schob sich ein Schatten ins Zimmer: Leah. Mit drei, vier leisen Schritten war sie neben Johannas Bett und schaute auf die Ältere hinunter. »Du bist noch wach«, stellte sie fest. Draußen knackte es in den Sträuchern, die Wedel der hohen Kokospalmen raschelten in einem plötzlich aufkommenden Wind. In der Ferne grollte Donner. Leah stieß die Fensterläden auf. Johanna stellte sich neben ihre Schwester und blickte in die Nacht. Direkt über der Stadt leuchteten die Sternbilder des Südens. Nach Osten hin, über dem Strand, ballten sich schwere Gewitterwolken. Weiß- und violettglühende Blitze zuckten in kurzen Abständen auf, ohne den Weg zum Boden zu finden. Sturm packte die Palmen

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