Die Insel der Orchideen
und …«
»Sag es nicht!«
»Doch: Getrocknete Käfer hat er auch schon geschickt.«
»Unfassbar.« Mercy schüttelte amüsiert den Kopf. »Weißt du was? Du solltest das grüne Kleid unbedingt kaufen. Bis Silvester wird dein Friedrich zwar nicht zurück sein, aber es werden noch andere Feste folgen.« Sie klatschte in die Hände. »Nur noch dreieinhalb Wochen bis zum Ball! Endlich passiert mal wieder etwas Aufregendes in dieser langweiligen Kolonie.«
* * *
Johanna tanzte ins neue Jahr. Nicht gerade gut, sie war nie eine talentierte oder gar elegante Tänzerin gewesen, doch mit umso mehr Freude. Da sich auch unter den Herren kaum begnadete Tänzer fanden, behinderten sich die Paare oft gegenseitig auf der Tanzfläche. Aber es machte Spaß, das war die Hauptsache. Selbst die jüngeren unter den geladenen chinesischen und indischen Kaufherren hatten nicht widerstehen können und versuchten sich mit fragwürdigem Erfolg am Tanzen.
Das Orchester, bestehend aus den musikalischeren Mitgliedern der europäischen Gemeinde, beendete mit Verve einen beschwingten Walzer von Johann Strauss und bat erschöpft um eine Pause. Die Tanzpaare kehrten zu den im Garten aufgebauten Tischen zurück. Erhitzt lehnte sich Johanna gegen die Verandabrüstung und fächelte sich Luft zu. Wie seltsam es doch war, solche Temperaturen in der Silvesternacht! Schon bei den Gottesdiensten der Weihnachtstage hatte Johanna Schwierigkeiten gehabt, sich in die richtige Stimmung zu versetzen. Zwar sagte ihr Verstand, dass es zur Zeit von Christi Geburt auch in Palästina warm gewesen sein musste, doch für sie war die Weihnachtszeit untrennbar mit Kälte und Schnee verbunden. Stattdessen rann ihr der Schweiß in Bächen den Rücken hinunter, und die Haare klebten am Kopf. Die schwüle Nacht vibrierte von Zikadenrufen, der Duft von Nachtblühern mischte sich mit den Parfums der Gäste, und ein Hauch von Zimt, Gewürznelken und Muskat wehte aus Richtung des Küchenhauses herüber, wo die Köche des Gastgebers eine nicht enden wollende Abfolge von einheimischen und europäischen Gerichten zubereiteten. Jenseits der von Fackeln beleuchteten Rasenfläche, auf der die festlich herausgeputzten Gäste in Grüppchen beieinanderstanden oder es sich auf Korbstühlen bequem gemacht hatten, erstreckten sich saubere Reihen von Pfeffersträuchern und Katzenkrallenbüschen, deren Rinde sich, zu einem Sud gekocht, wohltuend auf die Verdauung auswirkte. Dahinter erhob sich unheimlich und abweisend die schwarze Wand des Dschungels. Johanna besuchte zum ersten Mal die Hügel im Hinterland, wo sich reiche Kaufleute und Plantagenbesitzer weit entfernt von der Enge und dem Gestank der Stadt ihre Häuser gebaut hatten. Es gefiel ihr hier, doch die Nähe zu dem tigerverseuchten Wald ließ sie schaudern.
»Da ist ja die Ballkönigin.« Leah hatte sich unbemerkt genähert, stellte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Taille.
»So ein Unsinn.«
»Glaub, was du willst. Ich bin jedenfalls froh, dass wir dich zu dem grünen Kleid überreden konnten. Mercy mag zwar in ihren Ansichten ein wenig simpel sein, doch Geschmack hat sie.«
Johanna überging die bissige Bemerkung über ihre Freundin. »Dafür musst du mit meinem alten Kleid vorliebnehmen.«
Leah winkte ab. »Das war kein Opfer. Du weißt doch, wie wenig mir daran liegt.« Sie lehnte sich an Johanna und drückte sie noch fester. »Ich habe mich noch gar nicht richtig für die Farben bedankt«, flüsterte sie. »Du ahnst nicht, welche Freude du mir damit bereitet hast.«
Statt einer Antwort umarmte Johanna ihre jüngere Schwester. Es war lange her, seit sie sich mit Leah so verbunden gefühlt hatte.
»Wie schön, dass wir wieder lachen können«, sagte sie, als sie sich voneinander lösten. »Ich hatte mir fürchterliche Sorgen um Papa gemacht, seit in der Zeitung von dem Brand in Kanton berichtet wurde. Seine Briefe waren das schönste Weihnachtsgeschenk.« Noch immer spürte Johanna die Erleichterung, die durch ihren Körper geflutet war, als sie am Heiligen Abend die Briefe ihres Vaters in Empfang genommen hatte. Leah, die Mutter und sie waren sich weinend in die Arme gesunken, als ihnen klarwurde, dass der Vater sowohl die Unruhen und den Beschuss der Stadt durch britische Soldaten als auch den verheerenden Brand in der Handelsniederlassung zehn Tage zuvor unversehrt überstanden hatte. Und bald, ganz bald, würde er bei ihnen in Sicherheit sein.
Verloren in ihre Gedanken standen die Schwestern auf der
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