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Die Insel der roten Erde Roman

Titel: Die Insel der roten Erde Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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sich kam, flehte sie Papa an, er solle sie aufschneiden und das Baby herausnehmen, aber er wusste, dass sie das nicht überleben würde, und deshalb brachte er es einfach nicht fertig. Er wollte sie retten. Wir brauchten sie doch! Aber Mama dachte nur an das Baby. Sie wollte, dass wenigstens der Kleine gerettet wurde.« Sissie stockte. Sie holte tief Luft, dann sprach sie weiter. »Irgendwann atmete Mama nicht mehr. Papa hat all seinen Mut zusammengenommen und das Baby durch einen großen Schnitt herausgeholt. Aber es war zu spät. Joseph war tot.«
    Was hat das arme Mädchen erleben müssen, dachte Amelia betroffen. Jetzt war ihr auch klar, weshalb Evan so kurz angebunden und ruppig war. Er musste unter furchtbaren Schuldgefühlen leiden, weil er nicht imstande gewesen war, rechtzeitig die Entscheidung zu treffen, die wenigstens seinem Sohn das Leben gerettet hätte. So hatte er beide verloren – seine Frau und sein Kind. Unter seiner schroffen Art verbarg sich seine Verzweiflung über den grausamen Verlust.

15
     
     

     
     
     
     
     
    Sarah hatte sich nach dem Mittagessen unter dem Vorwand, müde zu sein, in ihr Zimmer zurückgezogen, wo sie sich von neuem in Amelias Tagebuch vertiefte. Das Leben, das diese junge Frau geführt hatte, war Sarah so fremd, dass sie es kaum nachvollziehen konnte. Es fiel ihr unendlich schwer, sich als Amelia Divine zu sehen, diese verwöhnte, verzogene, oberflächliche Person, die keine Ahnung hatte, wie hart das Leben sein konnte. Obwohl Sarahs Eltern sich redlich bemüht hatten, war das Geld immer knapp gewesen. Zum Geburtstag oder zu Weihnachten hatte sie stets Dinge wie selbst gestrickte Strümpfe oder selbst gebackene, hübsch verpackte Kekse geschenkt bekommen. Dass Amelia ohne besonderen Anlass ein Pferd geschenkt bekam, überstieg Sarahs Vorstellungsvermögen. Doch die Ashbys hielten sie nun einmal für Amelia Divine, ihr Mündel, und wenn ihr Plan, das Erbe der Divines anzutreten, gelingen sollte, musste sie ihre Rolle überzeugend spielen. »Ich muss mich konzentrieren«, sagte sie laut vor sich hin.
    Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Edna steckte den Kopf ins Zimmer. »Hast du deinen Mittagsschlaf beendet, Amelia?«
    »Ja, Tante. Komm herein.«
    »Ich wollte dir nur sagen, dass Charlton und ich wieder da sind.« Edna und Charlton waren am frühen Sonntagmorgen nach Penneshaw zu einer Taufe gefahren; Edna war die Patenschaft für das erste Kind von Sybil und Mike Harford angetragen worden. Erst jetzt bemerkte sie das aufgeschlagene Tagebuch auf dem Bett. »Oh, habe ich dich beim Schreiben gestört?«
    Sarah klappte hastig das Tagebuch zu. »Nein, nein. Ich … ich hab nur ein wenig darin gelesen.«
    Edna sah, dass sie verstört wirkte. Sie setzte sich zu ihr auf die Bettkante und tätschelte ihr die Hand. »Ich weiß, es tut weh, diese Erinnerungen zu durchleben, aber glaub mir, die Zeit heilt alle Wunden, mein Kind.«
    Sarah gab keine Antwort. Edna hatte auch nicht damit gerechnet, denn es gelang ihr einfach nicht, ihr Mündel dazu zu bewegen, sich den ganzen Kummer von der Seele zu reden.
    »Übrigens, da ist noch etwas.« Edna betrachtete das schmale Bündel, das sie in den Händen hielt, und zögerte einen Moment. »Ich habe dir doch von meinem Briefwechsel mit deiner Mutter erzählt, nicht wahr?«
    »Ja, Tante.«
    »Ich habe die Briefe deiner Mutter aufbewahrt«, fuhr sie behutsam fort. Sie hoffte, die Lektüre werde der jungen Frau helfen, einen Schlussstrich unter ihre tragische Vergangenheit zu ziehen. Edna hatte nämlich den Eindruck, dass sie verdrängte, was geschehen war, und es deshalb nicht verarbeiten konnte. Und wenn sie sich ihrer Trauer nicht stellte, so dachte Edna, würde sie nie über ihren Verlust hinwegkommen. Charlton war anderer Ansicht. »Amelia braucht einfach Zeit«, sagte er immer wieder. Bei aller innigen Zuneigung, die Edna für ihren Mann empfand, machte es sie manchmal rasend, wie er mit Scheuklappen durch die Welt lief. Sie war überzeugt, dass es nicht gut sein konnte, wenn ihr Mündel nie über seine Familie sprach. Aus ein, zwei Bemerkungen, die Lance gemacht hatte, schloss Edna, dass er der gleichen Meinung war. Eines Tages würde das Mädchen noch einen Nervenzusammenbruch erleiden, wenn es so weiterging! Edna sah sie schon in einer Heilanstalt irgendwo auf dem Festland, wo sie ihre Jugend in geistiger Umnachtung vergeuden würde.
    Sie streckte der jungen Frau das mit Bast umwickelte Bündel hin. »Möchtest du

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