Die Insel der roten Erde Roman
dieser dumme Fehler unterlaufen war, mit dem sie Edna brüskiert hatte. »Du und Onkel Charlton seid wunderbare Menschen«, versicherte sie rasch. »Ich wüsste nicht, was ich ohne euch tun würde, glaub mir.«
Ednas Gesicht nahm einen versöhnlichen Ausdruck an.
»Dein Sohn ist ein ganz besonderer Mensch, weißt du.«
»O ja, allerdings.« Ednas Augen leuchteten vor Stolz. »Und ich kann verstehen, dass du dich in seiner Gesellschaft wohl fühlst, weil er in deinem Alter ist.«
»Wirklich, Tante?«
»Aber ja, Kindchen.« Wie selbstsüchtig sie doch war! Anstatt beleidigt zu sein, sollte sie sich freuen, wenn ihr Mündel sich mit ihrem Sohn so gut verstand. »Es ist schön, dass du mit Lance über alles reden kannst. Ich finde nur, er hätte ein bisschen mehr Zartgefühl beweisen können.«
»Ich bin sicher, er hat es gut gemeint, Tante. Er hat eben gehofft, ich würde neue Freunde finden.« Sie senkte den Kopf und blickte Edna von unten herauf kokett an. »Du bist mir wirklich nicht böse?«
»Aber nein, Liebes!« Doch mit Lance würde sie ein ernstes Wörtchen reden, das konnte Sarah von Ednas Miene ablesen und aus ihrer Stimme heraushören. »Ich lass dich jetzt allein, damit du die Briefe in Ruhe lesen kannst.« Sie gab Sarah einen Kuss auf die Wange und verließ das Zimmer.
Sarah löste den Bast, der das Bündel Briefe zusammenhielt.
»Ich bin gespannt, was mich da erwartet«, flüsterte sie vor sich hin.
Cape du Couedic
Carlotta stand unbemerkt an der Schwelle der Finnlay’schen Haustür. Amelia und Sissie hatten den Rücken zur Tür gewandt. Amelia putzte und schälte Gemüse. Sissie stand neben ihr und schnitt es klein.
»Ich bin so froh, dass es Milo wieder besser geht«, sagte Amelia. »Ihr solltet näher bei Kingscote wohnen, dann wäre im Notfall schnell ein Arzt zur Stelle. Das habe ich deinem Vater auch gesagt.«
»Das ist Zeitverschwendung, Sarah. Papa würde niemals von hier wegziehen. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.«
»Du wirst älter, Sissie, und du wirst nicht ewig hier bleiben wollen.« Ein junges Mädchen erwartete mehr vom Leben, als diese Einöde bieten konnte.
»Nein, wahrscheinlich nicht. Wenn ich alt genug bin, gehe ich in die Stadt oder aufs Festland und suche mir Arbeit.«
»Ich verstehe deinen Vater nicht, Sissie. Man sollte doch meinen, er weiß, wie gefährlich es ist, mit euch Kindern in dieser Wildnis zu leben, vor allem nach dem Tod eurer Mutter und des Babys. Ich will nicht behaupten, dass eine Hebamme die beiden hätte retten können, aber ihre Chancen wären sicherlich größer gewesen. Und dann die vielen Kinderkrankheiten, die ihr bekommen könnt! Ich wäre halb wahnsinnig vor Sorge, wenn ich eure Mutter wäre.«
Carlotta hatte das Gespräch belauscht. Ihr Verstand begann fieberhaft zu arbeiten. Wenn Evan mit seiner Familie wegzog, würde er die Zuchthäuslerin mitnehmen. Das brachte sie auf eine Idee.
In diesem Moment wandte Amelia sich zum Herd um, nahm aus dem Augenwinkel eine Gestalt in der Tür wahr und erkannte Carlotta. »Wie lange stehen Sie schon da?«, herrschte Amelia sie an. Sie hatte es satt, dass die Italienerin ständig um sie herumschlich, sodass sie auf jedes ihrer Worte achten musste, weil sie nie wusste, wann sie belauscht wurde.
»Ich bin gerade erst gekommen«, gab Carlotta zurück. »Ich möchte den Mädchen Kochunterricht erteilen.«
»Ach ja? Dann können Sie ja gleich das Abendessen machen«, versetzte Amelia und knallte die Kartoffeln auf den Tisch.
Sissie schaute mit großen Augen von einer zur anderen. Die Atmosphäre knisterte vor feindseliger Spannung, und das Mädchen hielt unwillkürlich den Atem an.
Carlottas Augen wurden schmal. Dann stolzierte sie in die Küche, wobei sie ihre wohl geformten Hüften schwenkte. Amelia warf den Kopf in den Nacken und rauschte an ihr vorbei zur Tür.
»Dann fangen wir am besten gleich an. Wir bringen bestimmt etwas Schmackhaftes zustande«, bemerkte Carlotta höhnisch und so laut, dass Amelia es hören musste. Kaum war sie gegangen, wandte die Italienerin sich an Sissie und fauchte: »Geh und hol deine Schwestern!«
Bevor Carlotta sich später auf den Heimweg machte, suchte sie Evan auf, der im Schweinestall bei den Ferkeln war.
»Hallo, Carlotta«, grüßte er.
»Buon giorno!« , erwiderte sie fröhlich. »Ich habe mit den Mädchen gekocht.«
»Ah! Mir war doch, als hätte der Wind einen köstlichen Duft herübergeweht.« Ihm war sofort klar gewesen, dass nicht
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