Die Insel der roten Erde Roman
dass jemand mir zuvorgekommen sein muss. Polly sagt, sie war nicht am Bücherregal, bleibt also nur Amelia. Wenn ich nur wüsste, warum sie den Ausschnitt an sich genommen hat!«
»Haben Sie denn nicht gefragt, Missus?«
»Doch, gerade eben. Sie streitet alles ab. Sie wisse nichts davon, behauptet sie. Sie hat sich so aufgeregt, dass ich nicht weiter in sie dringen wollte.«
Plötzlich tauchten züngelnde Flammen vor Bettys innerem Auge auf. »Ich glaube, der Ausschnitt wurde verbrannt, Missus«, flüsterte sie.
Edna dachte an den Küchenherd. Hatte Amelia den Ausschnitt in der Nacht in die noch glühende Asche geworfen, wo er dann Feuer gefangen hatte? Ja, so könnte es gewesen sein. Doch Polly hatte bereits Holz nachgelegt; sie würde nichts mehr finden. Edna sah ein, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. »Ich werde Amelia nicht mehr darauf ansprechen«, sagte sie. »Morgen hat sie Geburtstag, und ich will eine Überraschungsparty für sie geben. Ich möchte nicht, dass sie sich noch mehr aufregt.« Edna dachte an Amelias Worte. Ganz Unrecht hatte sie nicht: Weshalb sollte sie einen Artikel über einen Debütantinnenball mit einem Foto von ihr selbst entwenden?
In Betty jedoch stieg eine unheilvolle Ahnung auf. Seit dem Ausflug nach Reeves Point hatte sie dieses beklemmende Vorgefühl nicht mehr abzuschütteln vermocht, und jetzt wurde es so stark, dass ihr regelrecht schwindlig wurde.
»Ihr kommt doch hoffentlich auch, Betty?«, fragte Edna.
Der Gedanke, sich in der Nähe der jungen Frau aufhalten zu müssen, machte Betty ganz krank, aber sie wollte Edna nicht enttäuschen, zumal diese ihre Hilfe brauchte. »Ich weiß nicht, ob John da sein wird, Missus, aber ich und die Kinder werden kommen.«
»Fein.« Edna blickte ihre Nachbarin prüfend an. »Ist sonst alles in Ordnung, Betty?«
»Ja, Missus. Die Kinder sind manchmal anstrengend, und das kostet Nerven. Aber mir geht’s gut.«
»Schön. Dann sehen wir uns morgen Nachmittag gegen vier.« Edna nickte ihr zu und kehrte ins Haus zurück.
Sarah war inzwischen in ihr Zimmer gegangen.
»Sie lügt, da bin ich sicher«, flüsterte Edna ihrem Mann zu. »Aber wir können es nicht beweisen. Wir werden ein Auge auf sie haben müssen.«
»Wie wär’s, wenn wir morgen Früh in die Stadt fahren und noch einmal mit Brian Huxwell reden?«, schlug Charlton vor.
»Gute Idee.« Edna nickte. »Ich muss sowieso noch einige Einkäufe für Amelias Party erledigen.«
Cape du Couedic
Sissie schüttelte Amelia, bis sie aufwachte. »Komm schnell, Sarah«, drängte sie.
»Was … was ist denn?«, fragte Amelia schlaftrunken. Sie konnte nicht glauben, dass sie so fest geschlafen hatte.
»Milo geht es sehr, sehr schlecht!«
»Milo? O nein! Wie spät ist es denn?« Amelia rappelte sich mühsam hoch und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.
»Gleich Mitternacht. Entschuldige, dass ich dich geweckt habe, aber Papa ist außer sich vor Sorge.«
Es war das erste Mal seit Wochen, dass Amelia vor Mitternacht in tiefen Schlaf gefallen war, und ausgerechnet jetzt war sie geweckt worden.
Milo hatte sich den ganzen Tag nicht wohl gefühlt. Am Nachmittag war er eingeschlafen und auch zur Essenszeit am Abend nicht aufgewacht. Evan hatte den Jungen nicht geweckt, weil er in der Nacht zuvor ja kaum geschlafen hatte.
Amelia warf sich ihren Mantel über und schlüpfte hastig in ihre Schuhe. Als sie mit Sissie zum Haus kam, sahen sie, wie Milo sich übergab. Er stöhnte vor Schmerz und hielt sich den Bauch.
Amelia erkannte sofort, dass es dem Jungen sehr schlecht ging. »Wir müssen ihn zu einem Arzt bringen!«, drängte sie voller Sorge um das Leben des Kindes.
Evan, das Gesicht vor Angst verzerrt, wiegte seinen Sohn in den Armen. Er sagte zwar nichts, dachte aber das Gleiche: Milo musste unbedingt von einem Arzt untersucht werden. Er hatte überlegt, ob er das Pferd satteln und mit dem Jungen nach Kingscote reiten sollte, doch er befürchtete, Milo würde die Strapazen eines Dreitageritts nicht überstehen.
»Evan! Wir können hier nichts für ihn tun! Wir müssen ihn zu einem Arzt bringen«, wiederholte Amelia eindringlich, als Evan schwieg. Warten Sie nicht, bis es zu spät ist!, hätte sie am liebsten hinzugefügt, beherrschte sich aber. Sie erkannte an dem gequälten Ausdruck in seinen Augen, dass er an seine Frau und das Baby dachte, die er beide auf so tragische Weise verloren hatte. Evan liebte seinen Sohn;
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