Die Insel der roten Erde Roman
ausdruckslosen Augen. Es überraschte sie nicht, dass die junge Frau dachte, sie wolle um Essen betteln. Das passierte Betty oft; dennoch war sie jedes Mal aufs Neue enttäuscht darüber. Edna Ashby gehörte zu den wenigen Weißen, die Betty wie ihresgleichen und mit Respekt behandelten, und Betty wiederum hatte größte Hochachtung vor Edna. »Ich kaufe die Eier von Mrs Ashby, Missus.«
»Oh!« Sarah fühlte, wie ihr Gesicht brannte. »Entschuldigen Sie, das wusste ich nicht.«
»Ist schon gut, Missus.« Wie zum Beweis streckte sie Sarah ihre Handfläche hin, in der ein paar Münzen lagen.
»Mrs Ashby ist nicht da, aber ich werde Polly holen.« Sarah hatte sich schon zum Gehen gewandt, drehte sich dann aber noch einmal um und fragte: »Wie heißen Sie eigentlich?«
»Ich bin Betty, Missus.«
»Warten Sie bitte hier, Betty.« Konnte sie die Tür solange offen lassen? Sarah zögerte eine Sekunde. Die Aborigine wusste genau, was sie dachte, und wieder war sie enttäuscht. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass die meisten Weißen misstrauisch und überheblich waren. Sie glaubten, alles zu wissen, dabei wussten sie nichts über das Land und die Geister. Sie dachten, sie könnten nichts von den Ureinwohnern lernen und versuchten, ihnen ihre eigene Lebensweise aufzuzwingen. Betty fürchtete, dass die Kultur ihres Volkes dadurch zerstört würde, falls man nichts dagegen unternahm. Die Aborigines hatten keine andere Wahl, als sich anzupassen, das war ihr klar; doch Betty wollte dafür sorgen, dass die Traditionen ihres Volkes bewahrt und an ihre Kinder und Kindeskinder weitergegeben wurden.
Sarah lief durchs Haus und rief nach Polly. Diese kam aus dem Schlafzimmer der Ashbys, einen Staubwedel in der Hand.
»An der Hintertür ist eine Frau, die Eier kaufen möchte«, flüsterte Sarah. »Eine Aborigine. Aber sie macht einen recht sauberen Eindruck.«
»Eine Aborigine? Hat sie gesagt, wie sie heißt?« Stirnrunzelnd ging Polly in Richtung Küche. Sarah folgte ihr.
»Ja. Betty, sagt sie.«
»Ach so!« Polly lächelte. »Das ist bestimmt Betty von nebenan, Miss Divine.«
»Von nebenan?« Sarah hatte zwar Kinder auf der Straße spielen sehen, die wie Mischlinge aussahen, war aber nicht auf den Gedanken gekommen, dass sie nebenan wohnen könnten.
»Ja, Betty ist die Frau von John Hammond. Sie wohnen in Faith Cottage.«
»Oh.« Sarah konnte fast nicht glauben, dass man in Kingscote eine Eingeborene wohnen ließ. In Hobart Town galten die Ureinwohner als Wilde, die auf der gesellschaftlichen Leiter noch unter den Sträflingen standen.
In diesem Moment kamen Edna und Charlton zurück. Der Buggy hielt hinter dem Haus.
»Hallo, Betty!«, rief Edna. »Kommst du wegen der Eier?«
»Ja, Missus.«
»Weiß Polly, dass du da bist?«
»Die junge Missus holt sie gerade.«
»Die junge Missus? Oh, du meinst sicher mein Mündel, Amelia. Ich habe dir von ihr erzählt, erinnerst du dich? Ihre Mutter war seinerzeit in England meine beste Freundin.«
»Ach ja, jetzt weiß ich wieder, Missus!« Betty erinnerte sich, dass Edna ihr erzählt hatte, ihre Freunde seien in ihrer Kutsche von einem Baum erschlagen worden. Das war ein böses Omen.
»Komm doch rein und trink eine Tasse Tee mit mir, während Polly die Eier holt.« Edna war ein wenig ungehalten, weil ihr Mündel Betty nicht hereingebeten hatte. Was war denn das für ein Benehmen? Sie würde ein ernstes Wort mit der jungen Dame reden müssen. Als sie durch den Anbau gingen, kam Polly ihnen entgegen.
»Oh, Sie sind schon zurück, Mrs Ashby«, sagte sie verlegen. »Ich wollte gerade frische Eier für Betty holen.«
Sie nahm Betty die Schüssel ab und eilte hinaus. Edna ging mit Betty in die Küche, wo sie auf Sarah trafen.
»Amelia, das ist Betty Hammond, unsere Nachbarin.«
»Polly erwähnte es schon«, erwiderte Sarah. Sie konnte ihr Befremden darüber, dass Edna die Aborigine tatsächlich mit ins Haus brachte, kaum verbergen. Betty spürte ihre Ablehnung.
»Setz bitte Wasser auf, Liebes, und schneide ein Stück Kuchen auf.« Edna zog einen Stuhl für Betty heran, und diese setzte sich. Sie hatte kurze, drahtige Haare, eine sehr dunkle Haut, einen üppigen Busen und einen dicken Bauch, aber bleistiftdünne Arme und Beine. Sie trug eine weiße Schürze über einem Hängerkleid und schwarze Schnürschuhe an den Füßen. Ihre dunklen Augen ruhten unverwandt auf Sarah, was diese ganz nervös machte.
»Erzähl, Betty, wie geht es dir?« Edna holte das Teeservice aus dem
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