Die Insel der roten Erde Roman
nicht damit leben, wenn es so wäre. Aber vielleicht wurde ich gerettet, damit wir beide uns kennen lernen. Hört sich das dumm an?«
»Nein, überhaupt nicht. Das Schicksal hat uns zusammengeführt, davon bin ich überzeugt.«
»Aber Carlotta könnte uns wieder trennen«, murmelte Amelia. Sie wurde den Gedanken nicht los, dass die Italienerin ihr Schwierigkeiten machen würde.
»Sarah, ich bin aus zwei Gründen mit dir hierher gekommen. Erstens wollte ich mit dir allein sein, und zweitens wollte ich dir beweisen, dass wir zusammen sein können, ohne dass jemand davon erfährt, insbesondere nicht Carlotta. Hier wird sie uns niemals finden – und Evan auch nicht. Das ist unser Versteck. Außer uns weiß keiner davon.«
»Aber wie oft können wir uns hier treffen, ohne dass es herauskommt?«
»Nur einmal im Monat, bei Vollmond, wenn wir genügend Licht haben. Eine Laterne mitzunehmen wäre zu gefährlich.«
»O Gabriel, ein Platz nur für uns! Das erscheint mir fast zu schön, um wahr zu sein. Aber wenn nun doch etwas schief geht?«
»Das wird nicht geschehen, ich versprech’s.« Gabriel sah sie zärtlich an. Wie wunderschön sie im Mondlicht aussah! Sanft nahm er ihr Gesicht in beide Hände. Als ihre Lippen sich berührten, wurde er von seinen Gefühlen überwältigt und küsste sie voller Leidenschaft.
Er sah die Tränen in ihren Augen, als sie sich schließlich voneinander lösten.
»Was hast du, Sarah?«, flüsterte er. Er glaubte nicht mehr, dass sie die Strafgefangene Sarah Jones war, aber wie hätte er sie sonst nennen sollen?
»Wenn ich doch nur frei wäre! Es kann keine Hoffnung für uns geben, solange ich mich nicht erinnern kann.«
Eigentlich hatte Gabriel ihr nichts von den Briefen erzählen wollen, die er geschrieben hatte, bis er eine Antwort erhalten hätte, doch angesichts ihrer Verzweiflung änderte er seine Meinung.
»Ich wollte dir vorerst nichts davon sagen, aber ich habe an die Gefängnisbehörde geschrieben. Ich hoffe, etwas über Sarah Jones herauszufinden – etwas, das beweist, dass du nicht Sarah bist.«
Amelia fiel aus allen Wolken.
»Außerdem habe ich an die junge Frau geschrieben, die mit dir zusammen das Unglück überlebt hat, Amelia Divine. Sie wohnt in Kingscote bei Bekannten von mir. Ich habe sie gefragt, ob sie sich möglicherweise geirrt haben könnte, als sie dich identifiziert hat.«
»Wann hast du die Briefe geschrieben?«
»Sie sind heute mit dem Versorgungsschiff rausgegangen.«
Gabriel bemerkte den Funken Hoffnung, der in ihren Augen aufflammte.
»Amelia Divine«, wiederholte sie langsam. »Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Wahrscheinlich kennst du sie oder zumindest ihren Namen von der Gazelle .«
»Ja, wahrscheinlich«, murmelte Amelia.
Gabriel hatte diese Amelia Divine als irgendwie seltsam in Erinnerung behalten. Er konnte nicht genau sagen, wieso, aber sie hatte einen nervösen, wachsamen Eindruck auf ihn gemacht. »Von jetzt an wird es übrigens eine regelmäßige Postverbindung für die Gegend hier geben. Also habe ich vielleicht schon in ein paar Wochen eine Antwort auf meine Briefe. Alle vierzehn Tage wird ein Postreiter die Briefe von Kingscote nach Rocky River bringen; das ist neun Meilen von hier. Evan und ich werden sie abwechselnd von dort abholen. Edgar können wir nicht schicken – der würde sich wahrscheinlich verirren.«
»Wie wär’s, wenn wir Carlotta schickten?«, schlug Amelia schmunzelnd vor.
»Keine schlechte Idee«, pflichtete Gabriel ihr lächelnd bei.
Kingscote
Am anderen Morgen sagte Edna zu Sarah, die gerade von einem Spaziergang zurückkehrte: »Da ist ein Brief für dich gekommen, Amelia.«
»Ein Brief? Für mich? Bist du sicher?«
»Natürlich. Er ist an dich adressiert. Er ist von Gabriel Donnelly, dem Leuchtturmwärter von Cape du Couedic.«
Sarahs Herzschlag setzte eine Sekunde lang aus, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie spürte, wie ihr die Knie weich wurden.
»Was hast du denn, mein Kind?«, fragte Edna erschrocken. Sie stützte sie und führte sie in die Küche, wo sie sich auf einen Stuhl fallen ließ. »Ist es, weil du wieder an das Schiffsunglück erinnert wirst?«
»Ja, das … das Schiffsunglück«, erwiderte Sarah stockend.
»Das tut mir Leid, Liebes. Soll ich den Brief für dich lesen?«
»Nein!«, fuhr Sarah auf und riss Edna den Brief aus der Hand. »Ich möchte ihn in meinem Zimmer lesen. Allein.« Als sie Ednas gekränkte Miene bemerkte, fügte sie
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