Die Insel der roten Erde Roman
dir fehlt, Cecelia?«, fragte Amelia.
»Nein!«, fauchte Sissie.
Evan platzte der Kragen. »Du kommst jetzt auf der Stelle da raus und machst dich an die Arbeit, oder du kannst dein blaues Wunder erleben!«, brüllte er.
Amelia kam plötzlich ein Gedanke. Sie zog Evan ein Stück beiseite und sagte leise: »Hören Sie endlich auf, sich wie ein Verrückter aufzuführen, und lassen Sie mich das machen! Es gibt Dinge, die kann eine Tochter nicht mit ihrem Vater besprechen.«
»Blödsinn!«, knurrte Evan.
»Das ist kein Blödsinn. Das ist eine Tatsache. Und jetzt gehen Sie an Ihre Arbeit, und lassen Sie mich mit Cecelia reden.«
Evan zögerte, stapfte dann aber mit mürrischem Gesicht davon. Amelia ging zum Abort zurück.
»Dein Vater ist weg, Cecelia. Sagst du mir jetzt, was du hast? Bitte, Cecelia!«
Nach einer langen Pause antwortete das Mädchen: »Ich weiß nicht, was mit mir ist. Ich glaube, ich … ich muss sterben. Ich hab Angst.«
Ihre Ahnung hatte sie also nicht getrogen. »Cecelia, ich glaube, du hast deine Monatsblutung bekommen. Die haben alle Frauen, und zwar alle vier Wochen. Das ist ganz normal. Deine Mutter hätte es dir erklärt, wenn sie noch am Leben wäre.«
Cecelia schwieg, doch Amelia hörte, wie sie leise schluchzte und sich dann schnäuzte.
»Komm jetzt raus, und wir gehen in meine Hütte, dann werde ich dir alles darüber sagen, ja?«
Einen Augenblick später kam Sissie heraus, und Amelia ging mit ihr und Rose in ihre Baracke. Sie erlaubte Rose, dazubleiben, weil auch das jüngere Mädchen bald so weit sein würde.
»Hört zu. Frauen haben jeden Monat eine Blutung, die man Periode nennt. Sie dauert drei bis sieben Tage. Manchmal tut es ein bisschen weh, oder einem ist unwohl. Das ist keine Krankheit, und erst recht stirbt man nicht daran. Ich kann mir vorstellen, dass du sehr erschrocken bist, Cecelia. Deshalb warst du in letzter Zeit auch so launisch, weißt du.«
Sissie blickte so erleichtert drein, als wäre sie zum Tode verurteilt und dann begnadigt worden. »Ich dachte schon, ich hätte etwas Schlimmes. Ich bin froh, dass du da bist, Sarah.«
»Ich auch. Ich weiß, ihr Mädchen habt es nicht leicht mit eurem Vater. Ein sanftes Lämmchen ist er nicht gerade.«
Die Mädchen kicherten. Amelia lächelte und fügte hinzu: »Ihr könnt mich alles fragen, egal was.«
Sissie lief rot an. »Meine Brüste sind gewachsen. Ich brauche Frauenunterwäsche, aber Papa will ich nicht fragen.«
»Wenn ich deine Maße nehme, kann ich bestimmt Wäsche aus einem Laden in Kingscote bestellen. Und was deinen Vater angeht, um den kümmere ich mich schon.«
»Danke, Sarah!«
»Gern geschehen. Und jetzt holen wir ein bisschen Baumwolle aus dem Vorratsschuppen für dich!«
Kingscote
Edna klopfte und rief: »Amelia, Liebes, bist du wach?« Sie öffnete behutsam die Tür und spähte ins Zimmer. »Charlton würde gern etwas mit dir besprechen. Er wartet in der Küche auf dich.«
Sarah hatte sich unter dem Vorwand, sich nicht wohl zu fühlen, nach dem üppigen Essen hingelegt. »Ich komme gleich, Tante«, antwortete sie verschlafen. Sie hatte wieder vom Zuchthaus geträumt und war noch ganz verstört.
»Da bist du ja, Amelia«, sagte Charlton leutselig, als sie kurz darauf die Küche betrat. »Polly hat dir Tee gemacht. Geht es dir besser?«
»Ja, danke, Onkel Charlton. Schon viel besser.« Sie lächelte. »Tante Edna hat gesagt, du möchtest etwas mit mir besprechen?«
»So ist es. Die Anwälte deines Vaters, Burnham und Huxwell, haben mir geschrieben. Brian Huxwell wird in etwa zwei Wochen mit Papieren herkommen, die du unterschreiben musst. Ich wollte dich nur darauf vorbereiten.«
Sarah setzte sich und nippte an ihrem Tee. »Und mit der Unterzeichnung geht das Vermögen in meinen Besitz über?« Die Vorstellung, reich zu sein, versetzte sie in prickelnde Erregung. Sie würde überall hingehen können, so weit fort von Van-Diemens-Land und Kangaroo Island, wie sie wollte. Keine Sekunde kam ihr der Gedanke, dass die echte Amelia und Mr Huxwell sich vielleicht in Hobart Town begegnet waren.
Charlton blickte sie verwundert an. Die emotionslose Sachlichkeit, mit der die junge Frau über das Thema sprach, überraschte ihn.
»Ich meine, deshalb kommt er doch her, nicht wahr?«
»Zum Teil schon, aber so einfach ist das nicht.« Charlton überflog noch einmal den Brief des Anwalts. Sarah konnte ihre Ungeduld nur mühsam bezwingen. Sie wollte alles so schnell wie möglich hinter sich
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