Die Insel der roten Erde Roman
habe, wäre es peinlich für sie und für mich gewesen.« Den wahren Grund verschwieg sie ihr. Cecelia war noch zu jung, um gewisse Dinge begreifen zu können.
»Bist du sicher, dass du sie richtig verstanden hast?«
»Ganz sicher.«
»Ich mag Carlotta auch nicht besonders«, gestand das Mädchen. »Aber sag Papa nichts davon. Carlotta hat etwas Hinterhältiges. Mir ist aufgefallen, wie sie dich andauernd beobachtet, vor allem, wenn Gabriel da ist. Ich glaube, er mag dich, und das scheint Carlotta überhaupt nicht zu gefallen.«
Amelia fiel aus allen Wolken. Nie hätte sie gedacht, dass Cecelia bemerkt hatte, was zwischen ihr und Gabriel war. Unwillkürlich errötete sie.
Cecelia lächelte. »Du magst ihn auch, nicht wahr?«
Amelia war eine Sekunde lang versucht, es abzustreiten, brachte es aber nicht über sich. »Ja, ich mag ihn. Aber solange ich nicht beweisen kann, dass ich keine Zuchthäuslerin bin, wird es keine Zukunft für uns geben.«
»Ich wünsche dir, dass du dein Gedächtnis bald wiederfindest.«
»Das ist lieb von dir. Aber das mit Gabriel muss unter uns bleiben, hörst du? Sprich mit niemandem darüber, auch nicht mit deinen Schwestern. Wenn dein Vater davon erfährt, wird er dafür sorgen, dass ich wieder ins Gefängnis muss.«
»Von mir erfährt keiner was. Ich will nicht, dass du weggehst.«
»Danke, Cecelia.«
»Du kannst Sissie zu mir sagen. ›Cecelia‹ habe ich noch nie gemocht.«
Amelia war gerührt. Sie erinnerte sich, wie das Mädchen ihr kurz nach ihrer Ankunft verboten hatte, sie Sissie zu nennen. Wie hatten die Dinge sich seitdem verändert! »Ich finde, Cecelia ist ein hübscher Name. Aber ich werde dich gern Sissie nennen.«
Kingscote
Lance Ashby kam in die Küche, trat auf Zehenspitzen hinter seine Mutter, die an der Spüle stand, und legte ihr die Arme um die Taille. »Guten Tag, Mutter!«
»Lance! Schleich dich doch nicht so an mich heran! Du erschrickst mich ja zu Tode!«, tadelte Edna ihren Sohn, strahlte dabei aber übers ganze Gesicht, wie immer, wenn sie ihn sah.
»Wo sind sie denn alle?«, fragte er. Es schien ungewöhnlich still im Haus.
»Dein Vater hat das Pferd zum Beschlagen zum Schmied gebracht, und Polly begleitet Amelia zur Schneiderin, um ein paar neue Kleider abzuholen.«
»Noch mehr Kleider? Sie muss inzwischen so viele Sachen haben, dass sie damit handeln könnte.«
Ednas Augen funkelten. »Der Ernteball steht vor der Tür.«
»Ich weiß.«
»Ich hatte gehofft, du würdest mit Amelia hingehen. Es wird Zeit, dass sie in die hiesige Gesellschaft eingeführt wird. Alle unsere Freunde haben Verständnis für ihre schwierige Situation – dass sie um ihre Familie trauert und sich vom Schock des Schiffbruchs erholen muss. Aber ich finde, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sie den wichtigen Leuten auf der Insel vorzustellen. Außerdem wird es ihr gut tun, mal unter Menschen zu kommen.«
Lance machte ein betretenes Gesicht. »Ich habe bereits Olivia gefragt – du weißt schon, meine Kollegin aus der Bank. Ich kann doch jetzt keinen Rückzieher machen und sagen, ich gehe mit einer anderen. Olivia ist ein wunderbares Mädchen.«
Edna mochte Olivia. Sie überlegte kurz. »Könntest du Amelia nicht trotzdem mitnehmen? Es würde ihr sehr gut tun, an einem gesellschaftlichen Ereignis teilzunehmen.«
»Nun ja, ich denke schon«, antwortete Lance zögernd.
»Du könntest ihr ein paar junge Männer vorstellen. Das würde sie bestimmt aufheitern.«
Lance gefiel die Idee. Vielleicht lernte sie jemanden kennen, der ihr sympathisch war und auf den sie ihre Zuneigung übertragen konnte. »Du hast Recht, Mutter. Ich werde sie fragen.« Was hatte er schon zu verlieren?
»Fein, dann wäre das geklärt. Aber sprich bald mit ihr, hörst du?«
Später an jenem Abend kam Lance noch einmal herüber. Sarah saß bei einer Tasse Tee im Salon. Lance fiel gleich mit der Tür ins Haus. »Am Samstag findet der Ernteball statt, Amelia. Hättest du Lust, hinzugehen?«
»O ja, sehr gern!«, erwiderte Sarah begeistert.
»Gut. Der Ball findet im Freimaurersaal statt, und meistens ist ganz schön was los. Das ist eine gute Gelegenheit, ein paar von meinen Freunden kennen zu lernen.« Er wollte ihr nicht direkt sagen, dass er sie einigen geeigneten Junggesellen vorstellen wollte, doch genau das hatte er damit gemeint.
»Ich freue mich schon darauf.« Sarah verstand seine Bemerkung so, dass er vor seinen Freunden mit ihr prahlen wollte. Das war zwar ein
Weitere Kostenlose Bücher