Die Insel der roten Mangroven
Brokatkleidung, weiß geschminkte Gesichter, wallende Perücken sowie hoch aufgetürmte Frisuren. Unmöglich, irgendjemanden auf den ersten Blick zu erkennen.
»Du verschwinden! Gleich!«
Ein weiterer Diener griff nach ihrem Arm, und Bonnie wehrte sich. »Ich muss jemanden finden …«
»Was ist denn, Bonnie?«
Eine Frau in einem grünen Seidenkleid näherte sich ihnen. Das Handgemenge am Rand des Festsaals hatte offensichtlich Aufsehen erregt. Und die Frau kannte ihren Namen … Bonnie sah genauer hin und erkannte aufatmend Nora Fortnam.
Sie wollte etwas sagen, irgendetwas erfinden, um sich zu erklären, damit Nora den Dienern befahl, sie in Ruhe zu lassen. Wenn ihr nur etwas eingefallen wäre … Aber als Nora Bonnies aufgewühltes Gesicht sah, wandte sie sich ganz von selbst beschwichtigend an die Diener.
»Es ist in Ordnung … Charles und Louis, nicht wahr?« Sie lächelte den Männern beruhigend zu. »Sie gehört zu mir. Anscheinend gibt es irgendein Problem mit meiner Dienerschaft … Komm mit, Bonnie, erzähl mir, was los ist.«
Bonnie wäre Nora am liebsten um den Hals gefallen. Vor allem, da Nora sie jetzt auch noch von den Saalordnern, die womöglich zu den Verschwörern gehörten, wegführte. In einer Nische zwischen einem Blumenarrangement und einer reich mit Intarsienarbeiten geschmückten Vitrine hielt sie an.
»Was ist denn los, Bonnie? Du siehst ja aus, als hättest du einen Geist gesehen!«
»Ich habe Caesar gesehen!«, stieß Bonnie aus. »Auf dem Wegzur Küche. Und ich bin sicher, dass er … Er kommt von Macandal …«
Nora verstand sofort. Und sie schien keinen Augenblick nachdenken zu müssen. Beim Blick in den Speisesaal verstand Bonnie auch, warum. Die Gäste hatten sich eben gesetzt, der erste Kellner trat aus dem Verbindungsgang zur Küche, eine Terrine in der Hand …
Nora stürzte auf den Mann zu. Es wirkte wie ein Versehen, dass sie mit ihm zusammenstieß und die Terrine zu Boden warf. Das Porzellan zerschellte, Suppe spritzte über die weißen Kniehosen des Dieners …
Nora hörte spitze, gezierte Schreie hinter sich – und schlug dem nächsten Diener im Küchengang die zweite Suppenterrine aus der Hand, dann betrat sie die Küche. Die Dienerschaft erstarrte. Alle blickten auf Nora – und dann auf Jefe, der eben Anstalten machte, ein graues Pulver in einen Topf mit Ragout zu füllen.
»Jefe!« Nora wusste, dass ihre Stimme vor Erregung schrill klang, aber sie war laut genug, um zu ihm durchzudringen. »Jefe, was zum Teufel machst du da?«
Jefe sah verwirrt auf. Der Klang ihrer Stimme und ihrer Worte brachte irgendetwas in ihm zum Klingen, erweckte eine Art Erinnerung. Hatte er nicht genau das schon einmal gehört? Oder mehr als einmal? Die Erinnerung an ein Kind, das eben die Hand auf eine heiße Herdplatte legen wollte, blitzte in ihm auf.
Und jetzt erkannte er auch die Frau. Deirdres Mutter, Nora Fortnam. Aber woher kannte sie seinen richtigen Namen? Den hatte er nicht einmal Deirdre genannt …
Jetzt jedoch griffen seine Instinkte. Jefe drückte das Päckchen mit dem Gift der großen, schlanken Frau in die Hand, die hinter ihm stand. Und er selbst griff mit einer blitzschnellenfließenden Bewegung nach einem Messer, sprang auf Nora zu und setzte es ihr an die Kehle.
»Woher wissen Sie meinen Namen?«, zischte er. »Und was wollen Sie hier? Reden Sie, oder Sie sind tot! Mach weiter, Sima! Wir machen weiter wie geplant!«
»Aber …«
Die junge Frau mit dem Gift zögerte. Und auch eine der Köchinnen reagierte, sie nahm das Ragout weg. Es ging nicht weiter wie geplant, die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Frau jemand folgte, war zu groß. Und auch wenn das nicht geschah: Caesar konnte sie nur zum Schweigen bringen, indem er sie umbrachte. Aber man würde sie lange bevor das Gift wirkte vermissen … Die Verschwörer brauchten einen neuen Plan.
Nora stieß scharf die Luft aus. »Lass mich, Jefe!«, sagte sie ruhig. »Ich habe keine Angst vor dir. Was machst du hier? Ist das Gift in dem Beutel? Wolltest du uns alle töten?«
Jefe lachte. »O ja, Madame. Das wollte ich, und das werde ich auch. Und Sie werden die Erste sein …«
Nora schüttelte den Kopf. Das Messer ritzte die zarte Haut ihres Halses, aber sie achtete nicht darauf.
»Mein Mann wird nach mir suchen«, bemerkte sie gelassen. »Du kommst damit nicht durch.«
Jefe fasste das Messer fester. »Sie glauben gar nicht, Madame, womit ich durchkomme. Jeder hier ist auf meiner Seite, nicht auf
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