Die Insel Der Tausend Quellen
Küche, um mit Adwea eine Speisefolge abzusprechen. An sich war das überflüssig, sie redete der Köchin nie in ihre Arbeit hinein und hätte sich einfach vom abendlichen Menü überraschen lassen können. Adwea schien ihre Aufmerksamkeit aber zu schätzen und dozierte eifrig über die einzelnen Gänge, während Nora die Blicke müßig über den Küchengarten schweifen ließ. Sie blieben am Rand eines Beetes an einer winzigen Orchidee hängen. Immer noch enthüllte Nora der Garten neue Wunder, und diese kleine, filigrane Blüte entzückte sie.
»Unkraut!«, sagte Adwea kurz, als sie danach fragte, und machte Anstalten hinzulaufen, um das Gewächs kurzerhand auszureißen.
Nora hinderte sie daran. »Mach sie bloß nicht kaputt!«, sagte sie streng. »Wenn du sie hier nicht haben willst, pflanze ich sie aus und in meinen Garten. Aber erst mal sollten wir herausfinden, wie sie heißt. Máanu, holst du mir bitte das Buch von Sir Sloane aus dem Pavillon?«
Nora selbst wollte nicht gehen, Adwea konnte sehr rigoros sein, wenn sich irgendein Unkraut in ihren Kräutergarten verirrte.
Máanu sah von einem Topf auf, in dem sie gerührt hatte, und nahm ihn vom Herd. »Welches, Missis?«, fragte sie. »Das mit Tiere oder das, wo erzählen von alte Zeit?«
Nach wie vor sprach sie Pidgin-Englisch, wenn sie nicht mit Nora allein war.
»Flora und Fauna«, antwortete Nora. »Ich hab’s im Gartenhaus liegen lassen.«
Erst als Máanu sich auf den Weg gemacht hatte, fiel ihr ein, dass sie tatsächlich auch das Werk über die Geschichte Jamaikas im Garten gelesen hatte. Máanu würde eben beide Bücher mitbringen, so schwer waren die ja nicht. Dann aber erschien Máanu – mit dem richtigen Buch.
»Also war das nun Glück«, meinte Nora leichthin, »oder kannst du lesen?«
Sie erwartete nicht wirklich eine Antwort, es musste Zufall gewesen sein – oder Máanu hatte einfach in die Bücher hineingesehen und die Bilder verglichen. Aber bevor sie noch ganz ausgesprochen hatte, schob sich Adwea wie ein aufgeregter Springteufel zwischen sie und Máanu.
»Die nicht kann lesen. ’Türlich nicht. Ist Nigger, dumme Nigger. Kann nur gucken Bilder. Du nur geguckt Bilder, ja, Kitty?«
Nora schaute irritiert von einer zur anderen. Adwea nannte ihre Tochter niemals Kitty, wenn Elias nicht zugegen war. Aber jetzt wirkte sie erschrocken und verstört. Auch aus Máanus Gesicht schien die Farbe zu weichen.
»Ich nur verglichen Bilder«, bestätigte sie.
Nora nickte. Aber sie konnte nicht daran glauben. Die Einbände der beiden Bücher waren nahezu gleich – und unbebildert. Natürlich konnte Máanu die Bücher aufgeschlagen und die Abbildungen im Innern verglichen haben, aber dafür war sie zu schnell zurück gewesen. Und warum hätte sie sich auch die Mühe machen sollen? Beide Bücher waren schmale Bändchen, sie konnte sie mit einer Handbewegung einstecken und mitnehmen.
Aber darüber zu reden war jetzt nicht die Zeit, zumal Adwea völlig außer sich wirkte. Nora gab sich vorerst mit Máanus Erklärung zufrieden und verschob die Erörterung der Angelegenheit auf später. Als sie abends beim Auskleiden mit dem Mädchen allein war, hielt sie ihr ein Buch über Barbados hin.
»Hier, Máanu. Lies vor. Und ich möchte keine Ausflüchte hören!«
Máanu senkte den Blick.
»B … Ba … rrr … Ich kann es nicht sehr gut, Missis. Wirklich. Nur ein paar Zeichen und Wörter. Akwasi kann es gut, aber ich … ich war ja noch so klein …« Die Worte brachen aus Máanu heraus, und Nora bemerkte erschrocken, dass das Mädchen zu zittern begann.
»Bitte, bitte nicht verraten Backra!«
Máanu verfiel wieder in Kindersprache, diesmal offensichtlich aus purer Panik. Nora hatte sie nie so verängstigt erlebt, seit sie damals um Akwasis Leben gefleht hatte.
»Aber das ist doch nichts Schlimmes, Máanu!«, meinte sie beruhigend. »Ja, ich weiß, die Pflanzer sagen, ihr solltet es nicht lernen, damit ihr keine Aushänge schreibt und damit andere zur Revolte auffordert oder was auch immer. Aber das ist doch Unsinn!«
Elias teilte diese Einstellung zwar mit praktisch allen anderen männlichen Pflanzern, aber Nora kannte die Verhältnisse in den Sklavenquartieren viel zu genau, um seine Befürchtungen zu teilen. Woher sollten die Leute Papier nehmen? Federn? Wie sollten sie Plakate vervielfältigen und drucken, und wie sollten die Afrikaner, die kaum ein Wort Englisch konnten, sie dann verstehen? Dagegen verbreiteten sich mündliche Nachrichten unter
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