Die Insel Der Tausend Quellen
wie in Trance entgegen. Sie hatte nie in ihrem Leben so viel getrunken, aber sie fühlte sich nicht müde, sondern eher erregt. Dabei hätte dieses Ritual sie abstoßen müssen – und es stieß sie auch ab, als der Obeah-Mann die Schlachtung jetzt mit einem zweiten Huhn wiederholte und das sterbende Tier in Richtung Akwasi warf. Auch der junge Mann fing es auf und ließ sein Blut zum Gesang und zu den Beschwörungen des Zauberers in den Kessel rinnen.
Nora fragte sich einen Augenblick angewidert, ob sie hier womöglich einer Trauungszeremonie beiwohnte. Hatte Máanu Akwasi endlich dazu gebracht, um ihre Hand zu bitten, und wurden die Verlobten auf diese blutige Art verbunden? Máanu wirkte allerdings eher verblüfft als wie eine glückliche Braut. Sie schien sich über das zweite Huhn und über Akwasis Beteiligung an der Zeremonie zu wundern. Aber dann sang und tanzte sie genauso ekstatisch weiter wie die anderen Sklaven. Rauch und der Gestank von Blut und Kräutern verbreiteten sich langsam in der ganzen Scheune. Nora nahm das den Atem und die Fähigkeit zu denken. Sie war nur noch Gefühl und Gesang und Trommelschlag, schien sich außerhalb ihres Körpers zu befinden. Adwea reichte ihr ein weiteres Mal den Krug.
Der Obeah-Mann nahm sein Gebräu nun vom Feuer, tauchte eine Art Reisigbesen hinein und bespritzte die Gläubigen. Einige von ihnen wanden sich in Krämpfen am Boden.
»Geister in sie. Nehmen Besitz von sie«, erläuterte Adwea gelassen.
Die alte Köchin beobachtete das Treiben weitgehend unbeteiligt, sie schien kein Interesse daran zu haben, mit der magischen Flüssigkeit in Kontakt zu kommen. Den Zuckerrohrschnaps trank sie allerdings wie Wasser.
Nora sah mit angstvoll geweiteten Augen, aber ohne sich zu rühren, zu, wie einer ihrer Hausdiener gellend schreiend zu Boden fiel und ein Küchenmädchen hysterisch weinte. Nora war wie gelähmt, hin und her gerissen zwischen der Heilerin, die dies hier beenden und sich um die offensichtlich leidenden Menschen kümmern wollte, und dem körperlosen Wesen, das an den Lippen des Obeah-Mannes hing und die Besessenheit der Leute als Selbstverständlichkeit hinnahm. Und ein weiterer Teil von ihr suchte verzweifelt ihren eigenen Geist, den sie so oft beschworen hatte. Simon hatte versprochen, bei ihr zu bleiben. Aber wo war er jetzt, da sie ihn brauchte? Den anderen Toten fiel es offensichtlich ganz leicht, sich vor den Lebenden zu materialisieren. Einige der Männer und Frauen schienen die Duppies ihrer verstorbenen Angehörigen schließlich zu sehen. Sie begrüßten sie ekstatisch, nachdem sie sich etwas in die Augen gerieben hatten und dann über die linke Schulter blickten.
»Wasser aus Auge von Hund«, erklärte Adwea mit Gemütsruhe.
Nora dachte kurz daran, einen der Leute um ein wenig davon zu bitten, und musste dann hysterisch kichern. Sie war verrückt, sie musste verrückt sein. Es war überhaupt verrückt, Geister zu beschwören, aber noch schlimmer war es, dass sie das Gesicht Doug Fortnams nicht vor ihrem inneren Auge verdrängen konnte …
Nora nahm noch einen Schluck aus dem Krug, den Adwea ihr reichte, als sie merkte, dass sie weinte.
»Jetzt!«, sagte der Obeah-Mann und trat neben Máanu. »Jetzt, Mädchen, sag den Geistern deinen Wunsch.«
»Ich will, dass Akwasi mich liebt!«, flüsterte Máanu. »Ich möchte ihm gehören.«
Kwadwo ging zu Akwasi. »Sag dein Begehren, junger Mann!«
»Ich will Nora Fortnam besitzen!«, sagte Akwasi fest und hoffte, dass die Geister ihn über all dem Geschrei und den Gesängen um ihn herum auch hörten. »Sie soll mein sein bis in den Tod.«
Die Menschen tanzten und sangen noch, aber langsam verebbten die Klänge der Trommeln, Rasseln und Ratschen. Die Feuer brannten herunter, die Besessenen richteten sich benommen auf, während sich die Geister aus ihren Körpern zurückzogen. Alle, außer denen, die Akwasi und Máanu beschworen hatten. Ihre Zeit sollte jetzt erst kommen.
KAPITEL 9
F ür Akwasi stellte das Treffen mit Nora nach der Obeah-Zeremonie die größte Schwierigkeit dar. Denn daran hatte Kwadwo schließlich keinen Zweifel gelassen: Der liebeswillige Duppy konnte nur in den Körper seiner Angebeteten fahren, wenn er sie ihm zeigte.
Akwasi hatte dieses Problem bis jetzt verdrängt, aber nun, berauscht und ermutigt von Zauber und Alkohol, wusste er, was zu tun war. Nora war allein im großen Haus, und es war tief in der Nacht. Sie musste längst schlafen und würde nicht hören, wenn er dort
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