Die Insel Der Tausend Quellen
einiges lernen.«
KAPITEL 2
D en meisten Weißen fiel es außerordentlich schwer, sich an das Klima auf Jamaika und den anderen Inseln zu gewöhnen. Vor allem das fast völlige Fehlen von Jahreszeiten setzte den Europäern zu. Selbst Nora, die es gern warm hatte, konnte am Anfang kaum glauben, dass die Hitze das ganze Jahr über nicht nachließ. Allerdings variierte die Regenmenge. Es gab keine regelrechte Trockenzeit wie im Süden Europas, wo es nach Dougs Angaben oft drei Monate gar nicht regnete, aber besonders an der Küste gab es in den Sommer-und Wintermonaten doch reine Sonnentage. Im Frühjahr und Herbst regnete es dagegen täglich und oft sintflutartig. Besonders nachmittags und abends gingen Wassermassen nieder, die befestigte Straßen in Flüsse, unbefestigte in grundlose rote Schlammpisten verwandelte.
Letzteres traf natürlich auch auf die Sklavenquartiere der Plantagen zu. Nur wenige Pflanzer erlaubten ihren Leuten, die Hütten an erhöhten Plätzen aufzubauen – hier platzierte man lieber Wirtschaftsgebäude wie Mühlen, Destillierschuppen, Kochhäuser und Ställe. Adwea, Máanu und die anderen Haussklaven wateten seit August durch knietiefen Schlamm, um morgens zur Arbeit zu kommen.
»Diese Jahr schlimmer wie sonst«, seufzte Adwea und wusch sich erst mal im Bach die Füße, bevor sie in die Küche trat. Der kleine Wasserlauf war zu einem reißenden Flüsschen angewachsen. »Dabei ich nicht merken mehr Regen. Sie, Missis?«
Nora hatte auch keine vermehrten Regenfälle registriert, aber natürlich konnte sie sich denken, was die Überschwemmung im Sklavenquartier verursachte. Der Bau der Wasserableitungsanlagen auf der Hollister-Plantage schritt schließlich zügig voran. Am Abend war dann zur Abwechslung einmal sie es, die das Thema anschnitt.
»Vielleicht hat Doug ja doch nicht ganz Unrecht, Elias«, begann sie vorsichtig. »Ich war heute Morgen im Dorf – aber dann habe ich die Untersuchungen nach oben zur Mühle verlegt. Das Sklavenquartier steht regelrecht unter Wasser, es läuft auch schon in die Häuser. Die Leute können da bald nicht mehr schlafen. Jedenfalls nicht auf dem Boden.«
»Dann sollen sie sich Betten zimmern«, brummte Elias. »Wie anständige Christenmenschen.«
Doug verkniff sich die Bemerkung, dass es noch viel schlimmer kommen könnte. Stattdessen ließ er hinter Elias’ Rücken Spaten und Hacken an die Männer verteilen, mit denen sie zumindest primitive Wasserabflussgräben anlegen konnten.
»Aber das hilft sicher nicht bei einem echten Sturm«, ängstigte sich Nora, als sie das System bei einem gemeinsamen Ritt inspizierten. Doug schüttelte den Kopf. »Bei einem echten Sturm hilft gar nichts. Nur schnelle Flucht.«
»Aber sollten wir die Leute dann nicht wenigstens warnen?«, fragte Nora. »Die haben doch keine Ahnung von dem, was Hollister tut.«
»Sie würden es wahrscheinlich auch nicht verstehen«, meinte Doug pessimistisch. »Wenn’s nicht mal bei meinem Vater wirklich ankommt! Das Problem ist ja nicht nur das Wasser selbst, sondern der plötzliche Einbruch, du kannst dir nicht vorstellen, wie schnell das geht. Und Warnungen … Es reicht nicht, etwas zu sagen, man brauchte einen regelrechten Plan: Jeder müsste genau wissen wohin, wenn ein Sturm droht, und wenn es mal falschen Alarm gäbe, dürfte das auch nicht so schlimm sein. Dann dankt man eben dem Himmel und schickt die Leute zurück in die Hütten oder an die Arbeit. Aber mein Vater würde ja Zeter und Mordio schreien, wenn mal eine Stunde Arbeit ausfällt. Und er würde sich nie einverstanden erklären, das mit den Schwarzen zu besprechen.«
Nora nickte müde. »Ich hab ihn mal drauf angesprochen, er meint, das würde nur Panik erzeugen …«
Doug nickte. »Das hat er mir auch gesagt. Und er hat nicht ganz Unrecht. Viele Neger sind wie Kinder – wenn man denen Angst macht, sitzen sie bei jedem Windstoß auf dem nächsten Baum. Und dann holen die Aufseher sie wieder runter und verteilen Peitschenhiebe. Es gäbe ein heilloses Durcheinander.«
»Nicht, wenn sie’s selbst organisieren könnten«, überlegte Nora und dachte an die lautlosen, sehr disziplinierten Wanderungen der Sklaven in der Obeah-Nacht. »Wenn wir mit jemandem reden würden wie … hm … dem Obeah-Mann?«
Doug grinste. »Kennst du den?«
Kurz darauf sprachen sie mit Peter, dem Stallmeister.
»Sie mich nicht verraten?«
Peter brauchte eine Zeitlang, um sich vom Schrecken seiner Entdeckung zu erholen. Ihm war alles Blut aus
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