Die Insel Der Tausend Quellen
Gesicht sehen konnte.
»Was ist mit dir, weiße Missis?«, fragte sie dann. »Willst du ihm dienen oder sterben?«
Nora sah in ihre wachen, durchdringenden Augen, ihr kleines schwarzes Gesicht, das einem Gnom oder einer Fee hätte gehören können. Sie überlegte, was sie tun oder sagen konnte.
»Ich habe ihm nie etwas getan!«, brach es dann aus ihr heraus. »Ich habe überhaupt noch nie jemandem etwas getan …«
Sie hörte lautes Gelächter. Máanu.
»Das war nicht die Frage«, meinte Nanny gelassen. »Aber wenn du es wissen willst: Auch ich hatte nie jemandem etwas getan, als man mich aus meinem Dorf entführte.«
»Ich habe immer geholfen, ich habe für eure Leute getan, was ich konnte. Ich war … ich war immer gegen die Sklaverei …«
Jetzt kicherten alle. Nora senkte beschämt den Blick. Sie musste aufhören, sie merkte, dass sie sich lächerlich machte. Es war besser, Nannys Frage zu beantworten. Ihre Rechtfertigungen wollte niemand hören.
»Ich will leben«, sagte sie schließlich.
Nanny nickte. »Eine gute Antwort. Wahrscheinlich wirst du sie noch bereuen. Du hörst es, Akwasi, sie wird dir dienen. Willst du sie als deine Frau oder deine Sklavin?«
Akwasi blickte Nora an, und auch sie sah ihm jetzt in die Augen. Akwasi schwankte. Er hatte Nora geliebt, mehr als er sagen konnte. Aber sie hatte ihn betrogen. Genau wie Doug. Sie waren alle gleich.
»Als meine Sklavin!«, sagte er hart.
Nora senkte wieder den Blick.
Nanny zog die Augenbrauen hoch. »Dann nimm sie. Aber ich möchte keine Klagen hören. Von keinem von euch. Geht jetzt. Man wird den Neuen Quartiere anweisen – aber deine Sklavin bleibt draußen, ich will hier niemanden zwingen, mit einer Weißen die Hütte zu teilen. Bau ihr morgen ein Haus. Oder sieh zu, dass sie dir eins baut. Mach mit ihr, was du willst.«
KAPITEL 3
A kwasi konstruierte sein Haus nach dem Muster der Sklavenhütten auf Cascarilla Gardens. Damit hatte er Erfahrung, schließlich hatten die Schwarzen dort gerade erst ihre Siedlung neu aufbauen müssen. Die Rundhütten der Afrikaner, die teilweise mit Wänden aus Kuhdung versehen waren, schienen ihm dagegen suspekt, er zog die Holz-und Lehmbauweise vor. Nora hatte den Tag und die erste Nacht nach ihrer Ankunft in Nanny Town in einer Ecke des Dorfplatzes verschlafen, während die Sonne ihre Haut verbrannte. Jetzt aber half sie Akwasi bereitwillig beim Hausbau. Sie hatte den dringenden Wunsch, der Hitze und den Insekten, aber vor allem den Blicken und Spötteleien der anderen Dorfbewohner zu entkommen, die alle nacheinander vorbeikamen, um die weiße Sklavin anzugaffen und zu schikanieren.
Auch Máanu schlenderte heran, während Nora Lehm an die Wände ihrer Hütte warf.
»Nun, wie gefällt es dir, weiße Missis?«, fragte sie mit schiefem Lächeln. »Und du, Akwasi? Baust du nur für sie eine Sklavenhütte oder wirst du auch selbst darin wohnen?«
Akwasi zuckte die Schultern. »Es war nicht mein Haus, das ich hasste, nur die Backras, die mich darin gefangen hielten«, sagte er gelassen. »Anders zu bauen habe ich nie gelernt. Und sie muss nehmen, was sie kriegt!«
Dabei warf er Nora einen ungewollt anerkennenden Blick zu, was Máanu schmerzlich bemerkte. An ihr zeigte er nach wie vor kein Interesse. Er hatte sich die prächtige Rundhütte, die man ihr ganz in der Nähe der Residenz von Granny Nanny zugewiesen hatte, noch nicht einmal angesehen.
»Ich frage mich, warum du mich hasst, Máanu«, meinte Nora müde. »Was habe ich dir getan? Ich wusste nichts von dem, was Elias tat. Als ich dahinterkam, bin ich eingeschritten, Mansah konnte ich retten. Und ich hätte früher etwas getan, wenn du geredet hättest. Wenn jemand Sallys Tod hätte verhindern können, Máanu, dann du. Nicht ich.«
Máanu blitzte sie an. »Wer spricht von Sally?«, fragte sie dann böse.
Nora fasste sich an die Stirn, zog aber schnell die Hand zurück, weil es schmerzte. Ihr seit Tagen ungeschützt der Sonne ausgesetztes Gesicht glühte, sehr zur Erheiterung der Schwarzen in ihrer Umgebung. Noras Versuch, sich aus Blättern eine Art Sonnenhut zu flechten, wurde von vorbeigehenden Frauen vereitelt. Sie zogen ihr den Schutz einfach weg und zertraten die Blätter im Staub.
»Willst du nicht werden wie wir, weiße Missis?«
Nora kämpfte nun gegen den Kopfschmerz und hoffte inbrünstig, dass ihre Haut sich an die Sonne gewöhnen würde. Sie war immer schnell braun geworden, bislang eine ihrer größten Sorgen, seit sie auf Jamaika weilte.
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