Die Insel der Verdammten
freundlich glänzte das Meer; auf der riesigen Fläche gab es kein Anzeichen von feindlichen Verfolgern. Ich traf gewissenhaft alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen; als ältester Inselbewohner und als rechtschaffener Mensch, dem sich die vom Schicksal hart geprüften Wesen anvertrauten, fühlte ich mich dazu verpflichtet.
Gegen Abend fanden sich die Jäger ein. Sie schleppten allerlei Beute herbei: Hasen und verschiedene Vögel, dazu Eidechsen und sogar Schlangen. Auch trugen sie einige Körbe voll Beeren und Früchte herbei — leider besaßen wir zuwenig Körbe. Als besondere Leckerbissen galten die Spitzen gewisser Palmen, die mir in gekochtem Zustand vorzüglich mundeten.
Die Fischer kehrten von den fünf Felsen nur mit geringem Fang heim. Hingegen berichteten sie von einem aufregenden Abenteuer mit einem Seehund oder einem ähnlichen Tier. Es fehlte nicht viel, so hätten sie eine Menge Fleisch erbeutet. Sie trafen das Tier mit dem Spieß und hatten es beinahe gefangen, als es sich im letzten Augenblick losriß.
Während des Abendessens besprachen wir den Plan für den folgenden Tag. Wir bestimmten einen ständigen Wachposten für den Berggipfel und beschlossen ferner, außer den
gewöhnlichen Jagdgruppen einige Jäger auf einem Floß zum Schildkrötenfang an die Westseite der Insel zu entsenden. Bei dieser Gelegenheit sollten sich die Unsrigen davon überzeugen, wie sich Mateo und seine Leute eingerichtet hatten.
Mich plagte die Neugier, Näheres über das Leben auf Margarita zu hören. Ich erfuhr, daß sich dort viele Spanier aufhielten, die hauptsächlich von der Perlenfischerei lebten. Am Ufer beherbergte der felsige Meeresboden eine besondere Muschelart, die Perlen erzeugte - eine Kostbarkeit für wenige und für viele ein Fluch. Nicht jede Muschel enthielt eine Perle, Hunderte davon mußten aus der Meerestiefe geholt werden, ehe man auf den begehrten Inhalt stieß.
Als Taucher wurden ausschließlich Sklaven verwendet. Die schwere Arbeit hatte zur Folge, daß selbst die gesündesten Athleten nach einem Jahr an einem Lungenriß zugrunde gingen. Der Taucher verfiel unter solchen Umständen unweigerlich dem Tode. Im Verlauf weniger Monate siechte sein Leben in unmenschlicher Qual dahin.
Wegen der hohen Sterblichkeit mangelte es den Spaniern auf Margarita stets an Sklaven. Daher veranstalteten sie beständig Menschenjagden rings um das Karibische Meer und kauften für teures Geld kräftige Neger, wo immer sie welche auftreiben konnten. Dabei entwickelte sich in ihnen geradezu eine Sucht nach Grausamkeit. Sie mißhandelten die Sklaven auf Schritt und Tritt, bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Die ausgefallensten Folterungen bereiteten ihnen krankhaftes Vergnügen.
Als mir die Indianer das alles erzählten, machte ich wahrscheinlich eine ungläubige Miene. Sie bemerkten das und zeigten mir sofort die verkrüppelten Körper, die von Peitschen zerfleischten Rücken, die Hände mit den abgehackten Fingern, die tiefen Narben an Beinen, Schultern und Brust. Der ganze Körper war bei vielen davon bedeckt.
Zum erstenmal kam ich in so nahe Berührung mit dem schändlichen Treiben der Sklavenhalter. Auch im Norden gab es eine Sklaverei, selbst in meinem Virginia quälten und unterdrückten die einen die anderen, doch hatte ich das nicht mit eigenen Augen gesehen. Als ich in den westlichen Wäldern unter freien Siedlern lebte, dachte ich nicht viel darüber
nach. Jetzt gab, es mir einen Stich ins Herz. Wenn ich diese Menschen betrachtete, wollte es mir nicht in den Sinn, daß sie ausschließlich anderen als Arbeitsvieh dienen und auf Befehl irgendeines Herrn erbarmungslos zugrunde gehen sollten.
An diesem Abend beim Lagerfeuer wurde ich mir zum erstenmal im Leben der großen Ungerechtigkeit, die unter den Menschen herrscht, schmerzlich bewußt. Und wer ließ es zu, wer hatte soviel Grausamkeit auf der Welt eingeführt?
„Willst du hören, wie Mateos Bruder umkam?" wandte sich Manauri an mich.
„Sprich!"
„Mateos Bruder war Taucher und Sklave bei Don Rodriguez, dem reichsten Spanier der Insel, dessen Name allein die Menschen mit Entsetzen erfüllt. Rodriguez verlangte von dem Taucher, daß er ständig mehr Muscheln aus dem Meer fische. Dieser arbeitete jedoch bereits zehn Monate, und ihm versagten die Kräfte. Als der Herr sah, er könne nicht mehr viel aus ihm herausholen, verurteilte er ihn, um den anderen Tauchern ein abschreckendes Beispiel zu geben, zum Tode. Das Urteil sollten die Hunde
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