Die Insel der verlorenen Kinder
Bettlaken mit Szenenbildern gehängt wurden (dafür war Rhonda als die Künstlerin der Truppe verantwortlich). Einen Vorhang gab es nicht. Die Bühne wurde vor den Augen des Publikums umgebaut. Clems alter roter Chevrolet Impala mit dem heruntergeklappten Verdeck fand häufig als Requisit Verwendung. Er hatte schon als Polizeifahrzeug und als Zigeunerwagen hergehalten, und jetzt, erklärte Peter, würden sie ein Piratenschiff mit Mast, Segel und einer Totenkopfflagge im Topp daraus machen.
Rhonda klappte ihr mitgebrachtes Skizzenbuch auf und entwarf die Umgestaltung zum Boot, während Peter sie mit Ideen bombardierte. Zeichnen war das, was Rhonda von ihnen am besten konnte. Das lag ihr mehr als die Schauspielerei, sie war bei weitem die Beste in ihrer Klasse, wenn nicht sogar in der ganzen Schule. Das Schreiben der Stücke und die Regie waren Peters Sache, Lizzy kümmerte sich um die Kostüme und die Choreographie, doch das Bühnenbild machte immer Rhonda.
Jetzt waren sie noch in der Planungsphase. In den nächsten Wochen würden sie das Bühnenbild entwerfen, die Kostüme schneidern und die Kulissen malen. Wenn dann die Schulferien kamen und die Sommergäste mit ihren Kindern am See Urlaub machten, ließ Peter vorsprechen, und dann begann die tägliche Probenarbeit.
«Und hier wird unser Krokodil auf der Lauer liegen», verkündete Peter und klappte die Falltür im Hintergrund des Bühnenbodens auf. Darunter hatten die Kinder eine Grubein die Erde gegraben. Sie war etwa ein Meter zwanzig lang und ebenso breit und tief. Die Falltür hatten die Kinder gebaut, damit böse Zauberer einfach auftauchen und verschwinden oder damit die Toten sich aus ihren Gräbern erheben und umgehen konnten.
«Aber wer ist das Krokodil?», fragte Lizzy, die sich Sorgen machte, wer sie wohl umbringen würde.
Peter zuckte die Schultern. «Weiß ich noch nicht. Aber das Krokodil kommt schon von selbst, das spüre ich.»
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6. Juni 2006
Das Loch, in dem Ella Starkee festgehalten worden war, war etwa drei Meter tief, und der Grubenboden, so las man in einem Artikel in der Zeitschrift
People,
hatte nur ganz knapp die Ausmaße einer gängigen Holzpalette. Der Entführer, den Ella für sich Magic Man getauft hatte, deckte die Grube mit Brettern und Blättern ab. Er kam jeden Tag zu Besuch. In dem Artikel stand nicht, was er während dieser Besuche machte, nur dass er eine Leiter benutzte – aus zusammengebundenen Baumschösslingen gefertigt –, um ins Loch zu ihr hinunterzusteigen. Er brachte ihr immer ein Karamellbonbon mit, golden wie Sonnenlicht und in eine knittrige Zellophanhülle verpackt, die Ella aufhob und an der sie noch leckte, wenn das Bonbon schon lange aufgelutscht war.
Pat’s Mini Mart
hatte sich in eine Vermisstensuchzentrale verwandelt. Pat und Jim hatten hinten im Laden die Süßigkeiten und Knabbereien aus den Regalen geräumt und ins Lager geschleppt. An deren Stelle stand nun eine lange Reihe von Klapptischen, auf denen Stapel von Flyern, Briefumschlägen und Schreibblocks lagen. Hinter der Fleischtheke schlängelten sich Verlängerungs- und Telefonkabel, an die ein Notebook und die Basisstationen von zwei schnurlosen Telefonen angeschlossen waren. Wer eine Weile untätig in der Nähe herumstand, wurde von Pat gleich mit eingespannt: «Du hast doch bestimmt ein bisschen Zeit, um ein paar Briefe einzutüten?» Oder: «Könntest du vielleicht fürzehn Minuten das Telefon bewachen, damit Alison hier mal eine Pause einlegen kann?»
Pats Neffe Warren, der gerade das erste College-Jahr in Philadelphia abgeschlossen hatte, war die ganze Nacht durchgefahren, um bei der Suche zu helfen. Er hatte die Aufgabe, alle telefonisch durchgegebenen Hinweise, die in Stichworten auf dem Schreibpapier festgehalten waren, im Notebook zu speichern. Karen Boisvert, die für IBM arbeitete, hatte eine Website mit den neuesten Nachrichten über die Suche nach Ernie und einem Formular angelegt, auf dem man Auffälligkeiten melden und Hinweise geben konnte. Peter war auch da gewesen und hatte Seite an Seite mit ihnen gearbeitet, bis Crowley ihn zur Befragung in Pats Büro gebeten hatte.
Rhonda saß neben Warren und seinem Notebook und nahm Anrufe entgegen. Warren trug eine Baseballkappe mit dem Logo seiner Uni und um den Hals eine Hanfschnur mit braunen und schwarzen Kügelchen. Seine Augen waren gerötet, weil er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, und anscheinend war er wie ein kleiner Junge geradezu süchtig nach heißer
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