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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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Wohnwagen ruhte etwa einen Steinwurf vom Nickel Lake entfernt auf einem Fundament aus Hohlblockbausteinen. Es war ein alter, flamingorosa lackierter Wohnwagen aus Stahlblech, dessen Farbe schon abblätterte. Davor befand sich ein Wald aus Garten-Deko, Windrädchen, Vogelfutterspendern und Vogelbädern. Rhonda führte Warren zwischen den Gartenzwergen, Rosenkugeln und Holzschnittfiguren von fetten Weibern, die beim Bücken ihre Unterhosen zeigten, hindurch. Sie bemühte sich, gelassen zu wirken, doch innerlich kochte sie. Auf der Fahrt hatte sie erfahren, dass Pat, die den ganzen Tag über scheißfreundlich zu ihr gewesen war, sie zu den Verdächtigen zählte.
    «Was hat deine Tante dir beim Hinausgehen gesagt?», hatte Rhonda Warren im Auto gefragt. Irgendwie war ihr die Art und Weise komisch vorgekommen, auf die die stets so nette Pat Warren beiseitegezogen und ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte, bevor er mit Rhonda den Mini Mart verließ.
    Warren lief bei Rhondas Frage ganz leicht rot an.
    «Komm schon», hakte Rhonda nach. «Ich dachte, du wärest der Typ, der immer positiv denkt, ein Unschuldslamm, das niemals lügt.»
    Warren lachte und kaute dann auf seiner Unterlippe herum. «Wohl kaum.»
    «Also, was hat sie gesagt? Ihr habt beide so ernst und verschwörerisch geschaut.»
    «Sie hat mir gesagt, ich soll in deiner Nähe bleiben», gab er zu.
    «Warum? Denkt sie vielleicht, dass der Hase sich als Nächste mich krallt?» Bis zu diesem Moment war ihr dieser Gedanke noch gar nicht gekommen. Aber der Hase hatte sie tatsächlich ganz deutlich gesehen. Und sie war eine Zeugin.
    «Eher nein», gab Warren zurück.
    «Na, was denn dann?»
    Warren kaute noch ein bisschen auf seiner Unterlippe herum.
    «Sie denkt   …», er stockte, «…   dass du vielleicht irgendwie in die Sache verwickelt sein könntest.»
    «Was? Dass ich dem Entführer geholfen habe?» Rhondas Stimme wurde schrill.
    «Cool bleiben!», beschwichtigte Warren sie. «Sie ist eben der Typ, der jeden Stein umdrehen muss.»
    «Und deswegen wolltest du mitkommen? Um ein Auge auf mich zu haben?» Sie war richtig wütend, und zwar vor allem auf sich selbst, weil sie so blöd gewesen war zu glauben, Warren wäre aus einem anderen Grund mitgekommen.
    «Nö.» Warren lächelte. «Ich bin mitgekommen, weil ich dich irgendwie süß finde.» Er zwinkerte. «Hör mal, ich seh schon, dass du in Ordnung bist. Ich werde mal mit Pat reden.»
    Danach hatte Rhonda die Augen auf die Straße geheftet und das Steuerrad mit beiden Händen umklammert. Sie waren an der Ducharme-Farm vorbeigekommen, wo eine Jersey-Kuh gerade ihr breites Maul durch den Zaun zur Straße streckte, um mal zu testen, ob das Gras draußen nicht besser schmeckte.
    «Und was studierst du   … Informatik oder so was?», fragte Rhonda nach einigen Minuten eisigen Schweigens.
    Warren lachte. «Ich bin Filmstudent.»
    «Wirklich? Du machst Filme?»
    «Ja, ich hab einen gedreht. Einen Dokumentarfilm über den Park, in dem ich gejobbt habe:
Story Town
. Das ist ein bisschen wie
Disneyland
, mit Gebäuden und Figuren aus Märchen und Kinderbuchklassikern. Du weißt schon, die arme alte Frau, die mit ihren Kindern im Schuh wohnt, oder Jack und die Bohnenstange, die bis in den Himmel wächst   … So was eben.»
    «Jetzt sag mir aber nicht, dass es da auch weiße Hasen gibt», meinte Rhonda.
    «Nö. Keinen einzigen. Und im Film geht es auch eher um die Hippiekultur der jungen Leute, die da jobben, alsum die Figuren selber. Humpty Dumpty war ein Dealer, und Schneewittchen vögelte mit jedem.»
    «Ah ja, die unbekannte dunkle Seite der Familienparks», merkte Rhonda an.
    «Genau», sagte Warren. «Und ich muss zugeben, als ich hörte, dass ein Hase das Mädchen entführt hat, dachte ich, dass das doch genau mein Gebiet ist. Ich dachte, wenn es vorbei ist und Ernie da heil rauskommt, könnte ich vielleicht einen kleinen Film darüber drehen. Du weißt schon   … Leute interviewen und so. Das wäre eine verdammt gute Story, findest du nicht? Also, das hier könnte sogar noch viel mehr Staub aufwirbeln als das, was mit dem kleinen Mädchen in Virginia passiert ist.»
     
    Sie stiegen zu der kleinen, mit Kunstrasen bedeckten Veranda hoch und bückten sich unter den Vogelfutterspendern hindurch, die vom Vordach herunterhingen. Warren ließ das Papageien-Windspiel klingeln, und Rhonda klopfte an dem Fliegengitter vor der Tür.
    «Wenn Sie von der gottverdammten Presse sind, hab ich nichts zu sagen», ertönte

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