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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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Zeit mehr zu verlieren. Lassen wir Shirley arbeiten!» Kameraverschlüsse klickten, als Shirley vortrat und mit kaum vernehmbarer Stimme um etwas bat, das einmal Ernie gehört hatte. Trudy griff in eine zerknitterte Einkaufstüte aus Papier zu ihren Füßen und holte einen Plüschbären mit einem gestickten Herzen auf der Brust hervor. Die Rutengängerin setzte sich auf den gepolsterten Stuhl,den man hinter der Ladenkasse hervorgeholt hatte, und hielt den rosa Teddybären an sich gedrückt, während die Fotoapparate klickten und die Kameras für die Abendnachrichten surrten. Schließlich stand Shirley auf, reichte Trudy den Bären, holte eine Landkarte von Vermont hervor, breitete sie auf der Ladentheke aus und ließ ein durchsichtiges Quarzkristall an einer dünnen Silberkette darüber baumeln. Das Pendel hing bald vollkommen bewegungslos, es kreiste weder, noch schlug es in irgendeine Richtung aus. Als Shirley mit der Karte von Vermont nicht weiterkam, holte sie eine Karte der USA heraus. Noch immer nichts.
    Vielleicht war Ernie ja im Weltraum, dachte Rhonda. Wie der Mann im Mond. Vielleicht hatte der Hase sie mit seinem U-Boot dorthin gebracht. Vielleicht lag die Haseninsel irgendwo dort oben und war ein eigenes kleines Paradies. Rhonda blickte auf, weg von Pendel und Landkarte, und versuchte, mit ihren Augen durch die Zimmerdecke und das Dach hindurchzuschauen – irgendwie hinter all das zu blicken. Sie spürte, dass Warren sie beobachtete, und wandte sich ihm zu. Er sah unsagbar traurig und niedergeschlagen aus. Rhonda streckte die Hand nach ihm aus, zögerte dann aber und zog sie zurück. Doch hatte nicht gerade ihr Zögern sie in diesen Schlamassel hineingeritten? Hätte sie damals entschlossen gehandelt, wäre Ernie nicht verschwunden und darauf angewiesen, dass eine Rutengängerin sie aufspürte. Blind entschlossen griff Rhonda zu und erfasste Warrens Hand. Er umschloss die ihre und drückte sie fest.
     
    «Ich sag Ihnen eins», nuschelte Cecil Lowry, als die Pressekonferenz beendet war. Cecil, der ehemalige Feuerwehrkommandant, war alt und ein begeisterter Nörgler. Er fragte gerne alle möglichen Leute, wie alt sie ihn schätzten, und wenn sie dann eine Zahl genannt hatten, die höflichkeitshalber gut zehn Jahre unter ihrer Schätzung lag, krähte er:
Vierundachtzig! Kaum zu glauben, aber wahr. Ha!
Sie glaubten ihm ohne weiteres. «Nach diesem ganzen Theater ist Pike’s Crossing endlich fest auf der Landkarte verankert. Erzählen Sie nur niemandem, dass ich das gesagt habe, aber in gewisser Weise ist diese Entführung das Beste, was Pike’s Crossing je passiert ist. Und sagen Sie mir nicht, dass die ganzen Geschäftsleute, die jetzt Geld wie Heu scheffeln, es nicht genauso sehen.»
     
    Rhondas Kopf quoll von Hasen über. Sie zeichnete sie auf Notizzettel, wenn sie telefonierte oder über das wenige nachdachte, was es an Fakten gab. Sie kritzelte ganze Ketten von Hasen, die an den Pfoten miteinander verbunden waren, und beim Zeichnen achtete sie genau darauf, ob sich irgendwelche Hinweise ergaben, weil sie dachte, auch die gemalten Hasen wüssten vielleicht, was alle Hasen wussten: den Weg zur Haseninsel. Sie blickte auf ihr Gekritzel hinunter, als erwarte ein Teil von ihr, dass die Hasen vom Zettel heruntertanzen und zu Ernie Florucci hinhoppeln würden. Und vielleicht, wenn Rhonda Glück hatte, gleich auch noch zu Lizzy und Daniel.
    Zwischen die Hasen kritzelte sie Notizen über die wenigen Anhaltspunkte, die sie besaßen: die Haseninsel, Laura Lees Wagen und der Name «Vögelchen». Das alles ergabnicht den geringsten Sinn. Aber das Kritzeln war beruhigend.
    Immer wieder gab es falsche Hinweise: In einem Motel in Lyndonville war ein goldener Käfer gesichtet worden, der Onkel von einem Bekannten – ein Junggeselle – hatte ein Hasenkostüm im Schrank, und auf einer Raststätte in Massachusetts war Ernie beim Kauf eines Erfrischungsgetränks beobachtet worden. Jedes Mal ging ein Summen der Erregung durch den Mini Mart, ein Ruck der Hoffnung. Die Polizei ging jeder einzelnen Spur nach, doch sie alle verliefen im Sand. Und immer wenn die Meldung von einem Misserfolg im Mini Mart eintraf, wurden plötzlich alle ganz still. Man tauschte niedergeschlagene Blicke. Nun mussten sie wieder auf das nächste Läuten des Telefons warten, auf den nächsten Hinweis, mit dem dieser Kreislauf von neuem beginnen würde.
     
    Shirley Bowes hatte eine Freundin, Marsha, eine Frau mit übersinnlichen Kräften. Marsha,

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