Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
Vom Netzwerk:
kennengelernt habe.»
    «Weiß Mom das?»
    «Natürlich.»
    «Warum hast du mir das nie erzählt?»
    «Ich wollte warten, bis du alt genug bist, es zu verstehen. Und das bist du jetzt.»
    Aber Rhonda verstand es
nicht.
Sie verstand nicht, dass man erst den einen Menschen und dann einen anderen heiraten konnte. Wenn man einmal verheiratet war, sollte das doch für immer gelten. Falls sie Peter heiratete, würde sie dafür sorgen, dass sie auch verheiratet blieben. Aber jetzt wusste sie nicht mehr recht, ob sie Peter überhaupt heiraten konnte, denn ihr dämmerte, dass zwischen ihnen beiden vielleicht eine verwandtschaftliche Beziehung bestand,weil seine Mutter und ihr Vater einmal miteinander verheiratet gewesen waren. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander. Sie musste aus dem Arbeitszimmer raus, um nachzudenken.
    «Ich komme zu spät zur Probe», erklärte sie ihrem Vater.
    «Ich wusste nicht, dass ihr auch abends noch probt», sagte dieser erstaunt.
    «Peter sagt, die Eröffnungsszene stimmt noch nicht, und deshalb müssen wir noch einmal daran arbeiten», erklärte sie.
    Jetzt war ihr Vater derjenige, der nur wortlos nicken konnte, und sie ließ ihn in seinem Arbeitszimmer auf dem Drehstuhl zurück, von wo er in die Augen der Männer auf dem U-Boot schaute, mit dem sie untergehen würden, ob sie es nun wussten oder nicht.
     
    Als Rhonda zur Bühne eilte, meinte sie mit Sicherheit einen Hauch Kirschtabakduft in der Luft auszumachen. Unter der Falltür drang ein gedämpftes Rascheln hervor, und sie schlich sich auf Zehenspitzen auf die Bühne und riss die Tür auf, um Peter zu überraschen. Sie überraschte ihn – und noch jemanden.
    Peter war zusammen mit Tack in der Fallgrube, und wie Rhonda sofort begriff, küsste er das Krokodil. So viel zu dem Gerücht, das Tack als Lesbe abstempelte.
    Tacks Hütchen war auf den Hinterkopf gerutscht, und das Band um den Hals war straff gespannt. Ihr Luftgewehr lehnte an der Grubenwand, und daneben lag Peters noch glimmende Pfeife.
    Peter zog sich von Tack zurück, doch diese hielt unter Rhondas Blick die Hand auf seine Schulter gelegt.
    «Wir haben gerade an ein paar Details des Stücks gefeilt. Es ging darum, wie das Krokodil die Bühne betritt», sagte Peter. Er wirkte aufgeschreckt, aber nicht sonderlich beschämt. Und er versuchte nicht, Tacks Hand abzuschütteln. Tack lächelte einfach nur.
    Rhondas Gesicht brannte, und die Fäuste hatte sie so fest geballt, dass es wehtat. Sie hätte gerne jemanden geschlagen. Aber Rhonda war keine Kämpfernatur. Und sie wusste, dass sie gegen die Sand werfende und Pfeile schießende Greta Clark mit ihrem Luftgewehr keine Chance hatte. Am liebsten hätte sie Peter geschlagen – aber was, wenn er sie dann nicht mehr in dem Stück mitspielen ließ? Der Gedanke, nicht die Wendy geben zu dürfen, jagte ihr fast so viel Angst ein wie der Gedanke, Peter an Greta zu verlieren. Und so öffnete Rhonda die Fäuste wieder.
    «Deine Mutter und mein Vater waren einmal miteinander verheiratet», sagte sie.
    «Ich weiß», antwortete Peter, als sei nicht viel dabei.
    Tack lachte.
    Rhonda griff nach der Falltür, um sie krachend zuzuschmettern, aber stattdessen schloss sie sie ganz sanft über den zu ihr emporgewandten Gesichtern.

s?
    15.   Juni 2006
    «Was für ein bescheuertes Bild.»
    Das waren Peters erste Worte nach einem langen Schweigen. Mit gerunzelter Stirn und angestrengt suchendem Blick betrachtete er die Zeichnung, die über Rhondas Bett an die Wand gepinnt war. So hatte er auch vor vielen Jahren die Postkarten von Lizzy betrachtet.
    Und eben Lizzy, seine verschollene Schwester, blickte von Rhondas Zeichnung zu ihm zurück. Lizzy mit elf. Lizzy im Jahr von
Peter Pan.
In dem Jahr, in dem sie ihre Stimme verlor. «Das Kind neben ihr ist Ernestine Florucci», erklärte Rhonda. «Ich hatte nur das Foto von dem Flugblatt als Vorlage.»
    «Ich hab sie erkannt», gab Peter zurück.
    Er zog eine Packung Zigaretten aus seiner T-Shirt -Tasche und zündete sie an, wobei er noch immer mit zu Schlitzen verengten Augen auf die Zeichnung der Kinder sah, als hinge sie irgendwo in weiter Ferne.
    Rhonda hatte den ganzen Nachmittag an diesem Bild aus ihrem U-Boot -Traum gearbeitet. Sobald sie damit fertig war, hatte sie Peter angerufen. Es kam ihr wichtig vor, ihm die Zeichnung zu zeigen. Sie hatte nicht überlegt, wie er auf ein Bild seiner Schwester reagieren würde – sonst hätte sie vielleicht das Risiko einkalkuliert, dass er einfach abblocken

Weitere Kostenlose Bücher