Die Insel der verlorenen Kinder
aus einer Kette kleinerer Kartons, die in absteigender Größe mit Kordel aneinander befestigt waren. Vier kleine Kartons waren unten an den Rumpf getackert und bildeten die Beine. Das Ganze war glänzend grün bemalt und mit Schuppen aus Silberfolie bedeckt (alle waren der Meinung, dass dies Laura Lees Beitrag gewesen sein musste). Der schmale Karton vorn hatte runde, aus einem Eierkarton herausgeschnittene Augen, und das aufgemalte Maul zeigte ein breites Grinsen, bei dem man alle Zähne sah. (Sie funkelten im Licht und waren ebenfalls aus ausgeschnittener Silberfolie aufgeklebt.) Greta orientierte sich durch einen schmalen Sehschlitz vorne am Rumpf, unmittelbar oberhalb des Kopfes.
«Ticktack, Ticktack, Ticktack!», rief sie. Ihre Stimme klang dumpf unter dem Karton, während sie auf der Jagd nach Lizzy mit glitzernden Schuppen und Zähnen über die Bühne krabbelte und dabei den Kartonschwanz hinter sich herschleppte.
Selbst wenn Greta kein Kostüm trug, jagte sie Lizzy. Es machte ihr großen Spaß, sich in der Pause an den armen Captain Hook heranzuschleichen, der nichts Böses ahnte, oder morgens früh unerwartet hinter einem Baum hervorzuschießen.
«Ticktack», knurrte sie dann und schnappte drohend mit den Armen, während Lizzy erschreckt zurücksprang.
«Siehst du», flüsterte Rhonda eines Tages, als die anderen außer Hörweite waren. «Ich hab dir ja gesagt, dass sie in dich verknallt ist.»
Das trug Rhonda einen heftigen Schlag mit dem Kleiderhaken ein, der sich in ihrem Nachthemd verfing und es an der Schulter aufriss.
«He!», schrie Rhonda, die den Riss betastete. «Das musst du aber wieder nähen.»
Doch Lizzy ging weg und stellte sich zum Krokodil.
Nachdem Greta sich mit dem Kostüm so viel Mühe gemacht hatte, war sie verärgert, dass sie nicht in mehr Szenen auftrat.
«Ticktack», fuhr sie Peter an. «Sollte das Krokodil nicht auch beim Krieg zwischen den verlorenen Jungs, Piraten und Indianern dabei sein?»
«Ich weiß nicht recht, Tack. Hier und da könnte ich dich wohl einfügen.»
Greta lächelte zum Zeichen, dass ihr sowohl die Absicht, sie in weiteren Szenen unterzubringen, als auch ihr neuer Spitzname gefielen.
Bei nahezu allen Szenen lungerte sie am Rande herum, machte ihr «Ticktack» und sah zu, genau wie früher vomBaum aus, aber jetzt hatte sie einen Platz in der ersten Reihe. Sie gehörte dazu.
Rhonda war ihrem Vater die ganze Zeit aus dem Weg gegangen und hatte das Stück als Vorwand benutzt, um so viel wie möglich von zu Hause wegzubleiben. Zum Essen kam sie nur ganz kurz heim, und ihre Mutter legte ihr dann Thunfischsandwiches oder gebratene Schweinerippchen auf den Teller, während Rhonda in ihrem weißen Nachthemd dasaß und ein bisschen von dem erzählte, was am Tage passiert war, zum Beispiel, dass Peter jetzt diese grässliche Greta Clark mitmachen ließ. Aber ewig konnte sie ihrem Vater schließlich nicht aus dem Weg gehen.
«Ich finde, wir sollten miteinander reden», sagte er einmal abends nach dem Essen zu ihr, als ihre Mutter den Tisch abgeräumt hatte und Wasser für den Abwasch ins Spülbecken laufen ließ. Rhonda nickte. «Komm in mein Büro. Du hast ja noch nicht einmal gesehen, wo ich dein Bild aufgehängt habe.»
Und so folgte Rhonda ihm widerstrebend in sein Arbeitszimmer und sah, dass ihr Bild in einem neuen Glasrahmen neben dem Schreibtisch ihres Vaters an der Wand hing.
«Was für schöne Zeichnungen», sagte er. «Ich schaue sie mir immer wieder an. Du hast alle Details genau richtig festgehalten, bis hin zu den Knöpfen an den Uniformen.»
Rhonda nickte.
«Es ist das beste Geburtstagsgeschenk, das ich je bekommen habe.»
Wieder nickte sie.
«Ronnie, das, was du da gesehen hast …»
«Das spielt keine Rolle», erklärte Rhonda, den Blick auf ihre Turnschuhe geheftet.
«Doch, natürlich spielt das eine Rolle. Und du hast eine Erklärung verdient. Ich habe einen Fehler gemacht. Und du hast mich dabei ertappt. Aber ich werde diesen Fehler nicht wiederholen. Verstehst du?»
«Nicht so richtig», nuschelte Rhonda.
«Was verstehst du denn nicht?»
«Wie du mit zwei Frauen gleichzeitig verheiratet sein kannst», sagte Rhonda.
«Das bin ich nicht. Ich bin mit deiner Mutter verheiratet. Und so wird es auch bleiben.»
«Aber du
warst
mit Aggie verheiratet.»
Clem griff in seine Hemdtasche und holte eine Zigarette heraus. «Ja», antwortete er. «Ich war einmal mit Aggie verheiratet. Vor langer Zeit. Bevor ich deine Mutter
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