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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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Justine war die Empfangsdame im Hotel. Siewar zehn Jahre älter als Clem, und ihre grünen Augen, um die sich feine Fältchen bildeten, nahmen ihn sofort für sie ein. Sie erschien ihm geduldig, freundlich und klug. Als sie ihn fragte, ob er Hilfe für sein Gepäck brauche, zwinkerte er ihr zu und sagte, nur wenn sie verspreche, seine Koffer nicht fallen zu lassen. Justine musste lachen, und Rhonda, die als kleines Mädchen diese Geschichte immer wieder hören wollte, musste da auch stets lachen. Justine rief einen Pagen für die Koffer, und Clem bat sie, doch nach Dienstschluss noch etwas an der Hotelbar mit ihm zu trinken. Am Ende der Woche hatte er sie überredet, am Wochenende einen Ausflug mit ihm zu machen. Sie durfte sich das Ziel aussuchen. Sie entschied sich für die Niagarafälle, und dort machte er ihr zwei Wochen nach ihrer ersten Begegnung einen Heiratsantrag.
Liebe ist Liebe
, sagte er, als er auf den Knien vor ihr lag.
     
    «Wie lange warst du mit Aggie verheiratet?», fragte Rhonda.
    «Nicht lange. Keine zwei Jahre.»
    «Und wann war das?»
    «Das ist schon lange her. Bevor ich deine Mutter kennenlernte.»
    «Aber in welchem Jahr?»
    «Aggie und ich haben am 9.   September 1978 geheiratet.» Rhonda rechnete stirnrunzelnd nach.
    In diesem Moment kamen Peter und Lizzy laut streitend den Pfad entlang, der von ihrem Haus hierherführte.
    «Das kann überhaupt nicht funktionieren», sagte Lizzy kopfschüttelnd.
    «Komm schon», entgegnete Peter. «Ich bin Peter Pan. Wenn ich sage, dass ich fliegen will, finde ich auch eine Möglichkeit.»
    «Ich geh jetzt wohl besser und lass euch Kinder proben», sagte Clem, legte Rhonda die Hand aufs Knie und sprang dann über die klemmende Tür nach draußen.
    1978
, überlegte Rhonda.
Und Peter wurde im Juli 1979 geboren, was bedeutet   …
    «Wir reden später darüber», versprach Clem.
    Bist du Peters Vater?
     
    In jenem Sommer damals hatte Daniel als neueste Idee den Plan, mit Särgen reich zu werden. Sein eigener Vater war im Winter gestorben – von niemandem sonderlich betrauert, schon gar nicht von Peter und Lizzy, die ihren Großvater niemals kennenlernen durften   –, und Daniel war entsetzt gewesen, als man ihm die Särge des Bestattungsunternehmens zeigte – viel zu teuer und vornehm. Daniel erklärte energisch, sein Vater hätte ihm ins Gesicht gespuckt, hätte man ihn auf ein cremefarbenes Satinpolster gebettet. Also ließ Daniel seinen Vater in einem einfachen Kiefernholzsarg bestatten, den er selbst gezimmert hatte. Nach einigem Hin und Her räumte der Leiter des Bestattungsunternehmens ein, dass es streng genommen keine gesetzliche Vorschrift gab, die verlangte, dass Mr.   Shale in einem der eleganten und durchaus preiswerten Särge bestattet wurde, die das Bestattungsinstitut Arceneaux & Söhne bereitstellte.
    Daniel war sich sicher, dass er da eine Marktlücke entdeckt hatte. Gerade die Leute aus Vermont waren sparsamund würden zweifellos die Würde ihrer dahingeschiedenen Lieben gerne durch die Bestattung in einem handgefertigten, schlichten Sarg bewahrt wissen. Mit einer Fräse fertigte er ein Kiefernholzschild   – SHALE SÄRGE – und hängte es vor seinen Werkstattschuppen. In der Stadt legte er ein paar Flugblätter aus. Zwei Bestellungen bekam er sofort – die eine von einem College-Studenten, der den Sarg als Couchtisch verwenden würde, die andere von einem alten Witwer, der alles für sein Ableben geordnet haben wollte. Den ganzen Frühling und Sommer über zimmerte Daniel Särge und lagerte alles, was fertig war, in hohen Stapeln auf dem Betonboden seines Schuppens. Er wartete auf die Flut von Bestellungen. Er wartete, und jeden Nachmittag ging er gewissenhaft in den Schuppen und zimmerte weiter. Dort fanden Peter und Rhonda ihn an jenem Nachmittag – über die Tischsäge gebeugt, den Werkzeuggürtel um die Hüfte. Das Radio, das auf einen Rocksender mit Oldies eingestellt war, spielte laut.
    «Hi, Daddy», rief Peter.
    Daniel blickte lächelnd auf und schaltete die Säge aus.
    «Was führt euch heute ins Labor des genialen Erfinders?», fragte er.
    «Wir wollen fliegen», antwortete Peter.
    «Fliegen?»
    «Für das Stück», erklärte Peter. «Wir wollen fliegen können.»
    Daniel nickte. «Ich könnte dir ein Paar Flügel machen», sagte er.
    Peter lächelte. «Und mit denen könnte ich fliegen?»
    «Klar», antwortete Daniel. Er blickte sich in der Werkstattum. «Ronnie, reich mir doch bitte eine von den Leisten dort. Und

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