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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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wie Alicia emsig wie eine Ameise und flink wie ein Eichhörnchen Sachen hin- und herschleppte, und sie an Plätze stellte, die nichts mit dem minutiösen Plan zu tun hatten, den er längst für ihre Wohnung ausgearbeitet hatte.
    Sie ließ die Geranientöpfe dorthin stellen, wo er mit gutem Grund das Gehege bauen wollte, richtete Betten und Matratzen ein, wo er das Esszimmer hinhaben wollte, steckte Tischwäsche und Spitzen in die Schubladen seines Schreibtisches, brachte die Hühner und Enten unter, wo er sich den Werkzeugschuppen vorgestellt hatte, verwahrte Marmeladen und Konserven auf den Brettern, die er den Arzneien vorbehalten hatte.
    »Gib mal einen Moment Ruhe, Frau«, flehte er. »Lass uns einen Lindenblütentee trinken, der beruhigt die Nerven, damit wir diesen Irrsinn endlich vernünftig angehen.«
    Sie setzte sich schweißgebadet zu ihm, hörte ihm unruhig zu und stand nach fünf Minuten wieder auf, um Truhen auszuräumen, Vorhänge aufzuhängen, Salat zu pflanzen. Sie befahl, das Pianola vom Schiff zu holen, stellte es in die eine Ecke, dann in die andere, war damit unzufrieden und befahl, es wieder zurückzubringen.
    »Du räumst auf und bringst dabei alles durcheinander, du wirbelst umher und rackerst dich ab, weil du nicht nachdenkst«, warf Ramón ihr vor, als er sie den dritten Tag herumwerken sah, ohne auch nur zum Essen oder zum Schlafen innezuhalten.
    »Und du denkst nach und redest, erteilst Ratschläge und Anweisungen, aber du tust nichts«, gab sie zurück und eröffnete damit eine Diskussion, die sie während ihrer gemeinsamen Jahre auf der Insel Hunderte Male, mal wortreicher, mal wortkarger wiederholen sollten.
    Als sie fast alles ausgepackt hatten und das Haus so gut wie eingerichtet war, kam aus den Tiefen einer Truhe neben anderer Weißwäsche das heilige Laken zum Vorschein, mit seinem Loch in der Mitte. Weit weg von Orizaba, von Doña Carlota, den Zehn Geboten und den sieben Sakramenten, hatte Alicia dessen Existenz schon völlig vergessen. Jetzt, da es auftauchte, verursachte es ihr ein schlechtes Gewissen, aber dann dachte sie, dass es Blödsinn war, es jetzt noch einweihen zu wollen, nach all den Nächten, in denen sie ohne ausgekommen war.
    Im ersten Impuls wollte sie es den Soldatenfrauen schenken, aber bei dem Gedanken an die feine Häkelbordüre besann sie sich eines Besseren. Schließlich fasste sie den Entschluss, es im Esszimmer als Tischdecke für besondere Anlässe zu verwenden und das Loch in der Mitte mit einem wuchtigen Fasan aus Porzellan zu verdecken.

Clipperton
    – 1908 –
    Nachdem sie drei Tage auf der anderen Seite der natürlichen Absperrung vor Anker gelegen hatte und brav die Wogen über sich ergehen ließ, die gegen die unterseeische Riffplatte anbrandeten, verschwand die Corrigan II , ihrer Fracht entledigt, wieder in Richtung Acapulco. Ramón Arnaud sah das Schiff vom Kai aus davonfahren. Mit einem Ehrenwort zwischen Männern hatten er und sein Vorgesetzter und Ratgeber, Oberst Avalos, die Abmachung besiegelt, dass im Abstand von zwei Monaten, spätestens nach drei, garantiert und ohne Verzug, dieses oder ein anderes Schiff der mexikanischen Marine, El Demócrata , nach Clipperton käme, um sie mit allem zu versorgen, was sie zum Überleben brauchten.
    Es war schließlich bekannt, dass die Insel ein unnützer, unfruchtbarer Steinhaufen war und nicht viel mehr zu bieten hatte als Landkrabben, Salz und brackiges Wasser. Das Versorgungsschiff war die Nabelschnur, mit der sie am Leben erhalten werden sollten. Die einzige Verbindung zu einer Welt, die Ramón, je weiter sich die Corrigan II entfernte, immer unerreichbarer vorkam, immer endgültiger versunken hinter Wällen aus Wasser.
    AlsdasSchiffaußerSichtweitewar,merkteRamón,wieihndaskränkte,wieesihnverletzte,unddassersichausgesetztfühltewieeinHund.MiteinemMalkamenihmdieErnennungzumGouverneur,dieBeförderungzumHauptmann,dieUnterredungmitPorfirioDíazwiebunteZiervögelchenzurVerschönerungseinernüchternenLebenswirklichkeitvor:ManüberließihnseinemSchicksal,unddasaneinemOrt,denersich,hättemanihngefragt,alsallerletztenausgesucht habenwürde.
    Das Gefühl, dass sie ihn für seine Fehler von einst zu hart büßen ließen, beschlich wieder wie eine Maus die steinigsten Pfade seines Denkens. Dieser Groll kannte sich im Labyrinth seiner Gehirnwindungen bestens aus, weil er ihn während seiner Haft in Santiago Tlatelolco ununterbrochen Tag und Nacht eingeübt hatte. Und jede Stunde seiner Rekrutenzeit und als

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