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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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unterdessen zu dem jugendlich aussehenden Offizier und dem großen Blonden. Ersterer war Leutnant Secundino Ángel Cardona, der bereits sechs Monate auf Clipperton weilte und Ramón als Stellvertreter zugeordnet war. Er war mit einem Kommando von sechs Männern auf die Insel vorgeschickt worden, um die nötigen Vorbereitungen für die Ankunft von Alicia und der Garnison zu treffen.
    Cardona war ein gut aussehender Mann, der die Haare trug wie der Mädchenschwarm des Viertels. Sein freimütiges Lächeln zeigte eine makellose Zahnreihe und weder die zu groß geratenen Ohren noch die eine oder andere Pockennarbe vermochten seine Ausstrahlung zu schmälern.
    Der Blonde war ein 28-jähriger Deutscher, Gustav Schultz, Vertreter der englischen Guano-Gesellschaft, The Pacific Phosphate Co. Ltd. Er lebte seit vier Jahren auf Clipperton und kümmerte sich als Betriebsleiter, mit einer Belegschaft von fünfzehn in den besseren Zeiten, und zwei bis drei Leuten in den schlechteren, um die Verarbeitung und den Export des Guanos. Seine Augen hatten unter dem struppigen Vorhang seiner Brauen einen weichen Blick. Er grinste zahm und schaukelte auf seinen riesigen Fußsohlen hin und her, während er darauf zu warten schien, dass der Neuankömmling das Wort ergriff.
    Arnaud wusste, dass einer der Gründe, weshalb man ihn nach Clipperton berufen hatte, seine Sprachkenntnisse waren. Die würde er hier weniger für den internationalen Streitfall benötigen – um den sich die Diplomaten in Europa kümmerten – , als vielmehr für die Kommunikation mit den Vertretern der Guano-Gesellschaft und die Besteuerung ihrer Aktivitäten durch die mexikanische Regierung. Deshalb begrüßte er Schultz in einem gestelzten Englisch und gab sich dabei die größte Mühe mit dem Akzent.
    Schultz unterbrach ihn mit schallendem Gelächter. Dann sagte er in einem schwer verständlichen Kauderwelsch aus Deutsch, Englisch, Italienisch und Spanisch etwas über Palmen und schüttelte sich noch einmal vor Lachen. Ramón verstummte verwirrt, worauf sich Leutnant Cardona beeilte, ihm zu erklären:
    »Keine Bange, Hauptmann, keiner versteht diesen Gringo, nicht einmal seine eigene Frau oder seine Angestellten. Er hat hier immer nur mit Ausländern zusammengelebt. Seine Männer sind alle Italiener und können kein Spanisch. Er hat eine wirre Mischung aus so vielen verschiedenen Sprachen im Kopf, dass er einem vorkommt wie der leibhaftige Turm von Babel. Aber er ist fleißig und führt die Bücher der Gesellschaft ordnungsgemäß, wenigstens die Zahlen schreibt er, wie es sich gehört, so dass sie uns darüber Auskunft geben werden, was Sache ist. Die Geschichte von den Palmen, die erzählt er jedem, der ihm über den Weg läuft, anscheinend hat er sie selbst hierhergebracht und eingepflanzt, da hinten können Sie sie sehen«, Cardona deutete mit dem Zeigefinger auf eine Gruppe von zehn bis zwölf Palmen, die einzigen Pflanzen der ganzen Insel. Schultz beobachtete Cardona und nickte halb erfreut, halb dümmlich zu allem, was der sagte, denn offenbar verstand auch er nicht, was die anderen redeten.
    Dann kamen die Männer mit der Flagge. Die frisch eingetroffene Truppe nahm neben der bereits dastehenden Aufstellung und einer der neuen Soldaten, ein Junge, kaum älter als vierzehn Jahre, der bevor er anheuerte, sein Auskommen als Mariachi-Musiker hatte und jetzt Trompeter bei der Truppe war, blies zum Appell.
    »Formation! Stillgestanden! Aaaachtung! Präsentiert!«, brüllte Arnaud und versuchte, die vor sich hin dämmernden Soldaten mit der Gewalt seiner Stimme zu beleben.
    Nach mehreren unrhythmischen Eisenschlägen steckten die Bajonette fest in den Gewehrläufen. Die Flagge wurde gehisst und glänzte grün, weiß und rot in der Sonne, während der Adler in die Schlange zu picken schien. Der halbwüchsige Trompeter spielte die Nationalhymne erstaunlich korrekt. Mit schüchternen Stimmen, wie nach innen hinein, sangen die anderen: »Denke, geliebtes Vaterland, daran, dass der Himmel dir mit jedem Sohn einen Soldaten gegeben hat … «
    Arnaud wollte gerührt sein, aber das Einzige, was er empfand war Besorgnis. »Und das hier sollen die Söhne des Vaterlands sein?«, ging es ihm durch den Kopf. »Die wirken eher wie die Söhne der Trübsal.« Er betrachtete seine neue Umgebung eingehend: rund dreißig halb nackte Menschen, ein riesiges Krabbengewimmel, ein Haufen Vogelscheiße und ein Felsbrocken. Das war alles.
    »Das hier ist mexikanisches Hoheitsgebiet und ich

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