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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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dennoch eine ungewöhnliche und besorgniserregende Ausbreitung von Tieren zeigt. »Millionen Vögel flattern um sie herum und die Guanoablagerungen ihres Kots sind Gegenstand einer kommerziellen Nutzung. So ist vor einigen Jahren eine Siedlung entstanden, um eine dort errichtete Phosphatfabrik zu betreiben (…). Die Insel ist mit einer mehrere Fuß dicken Guanoschicht bedeckt. Ohne Zweifel wird sie seit Jahrhunderten von Vögeln besiedelt.«
    Neun Jahre vorher erblickte das Ehepaar Arnaud vom Deck eines anderen Schiffes, der Corrigan II , voller Erwartungen, was für sie das Gelobte Land war. Trotz des Zeitabstands und der anderen Brille, durch die sie die Insel sahen, muss sie ganz ähnlich ausgesehen haben, wie in der Beschreibung des nordamerikanischen Kapitäns H.P. Perril, der nur durch Zufall dorthin kam.

Clipperton
    – 1908 –
    EineHandvollFrauenundKinderwarzuihrerBegrüßungansUfergekommen.AliciabetrachtetesieausderLandungsbarkasseundfand,dasssieziemlichtrostlosaussahen,ziemlichverlasseninderHitze.DunkelhäutigundausgedörrtertrugensiediesengendeHitze,indesdasschattenlosblendendeWeißihrerUmgebungdieausgewaschenenFarbenihrerspärlichenBekleidungschluckte.Basstölpelumflattertensie,liefenihnenüberdieFüße,sieverscheuchtensiemitschwerfälligenArmbewegungenodermüdenFußtritten.
    Das kleine verblichene Universum vor Alicia flimmerte und verzehrte sich in seiner langsamen Verbrennung. Sie sah,wiesich das Meer am Riff brach, und schäumend den Felsen, die mickerigen Palmen und die Menschen umspülte, um sich dann in Spalten, Falten und Kuhlen zu sammeln. Die Sonne verdampfte es sofort und alles blieb von einem glitzernden, blendenden Salzspiegel überzogen. Die Gischt bespritzte die Leute und verwandelte sie in träge Salzsäulen. Allein ihre Augen, die fiebrige Gier ihrer Blicke verriet Alicia, wie groß ihre Erwartungen an die Ankunft des Schiffes waren.
    Einige Meter vor den Frauen und Kindern hatte ein halbes Dutzend Soldaten in zerschlissenen Drillichuniformen, großen Strohhüten auf den Köpfen und Ledersandalen an den Füßen Aufstellung genommen und stand still. Auch diese wirkten benommen und ausgeblichen, wie Bleisoldaten, die in der Sonne schmelzen. »Sie sehen alle aus wie Schiffbrüchige«, dachte Alicia mit Unbehagen. »Eines Tages werde auch ich so dastehen, ein Schiff ankommen sehen und wie Juan Diego dreinschauen, als ihm die Guadalupe erschienen ist.«
    Zwei männliche Gestalten hoben sich aus der Gruppe ab.
    Die eine war ein Uniformierter von jugendlicher Erscheinung, mittelgroß, er wirkte als Einziger vital und in seinem sauberen Hemd erstaunlich frisch, die andere war ein großer Kerl, brüllend blond, mit einer einzigen durchgehenden Augenbraue von einer Schläfe zur anderen, ohne Lücke über der Nase. In der Mitte der Szene wehte schlapp an einer Stange, die in einen Zementsockel eingelassen war, eine verwaschene Flagge, wie ein Laken, das zum Trocknen im Wind hing.
    Die Corrigan II hatte in einiger Entfernung von der Insel Anker geworfen, um nicht am Riff auf Grund zu laufen, so dass die Besatzung und die Passagiere in Landungsbarkassen mit flachem Kiel umsteigen mussten, um an die Küste zu fahren. Als sie den Fuß auf festen Boden setzen wollten, versanken Alicias Schuhe im schwarzgrünen gallertartigen Guano.
    Hatte sie wenige Augenblicke zuvor noch ein prophetisches Schaudern empfunden, war sie nun den stinkenden Dünsten ausgesetzt, die von der Lagune herüberwehten, und sagte, das vornehme Näschen rümpfend:
    »Es riecht nach verfaultem Kohl.«
    Ramón erwachte ruckartig aus seiner Benommenheit nach dem Erbrechen, als hätte jener durchdringende Kohlgeruch auf ihn die Wirkung wie Ammoniak auf einen Ohnmächtigen. Auf der Stelle fiel ihm wieder ein, welche Rolle er hier einzunehmen hatte, worauf eine halbwegs gesunde Gesichtsfarbe, seine Fassung und sein Elan zurückkehrten und er in der Haltung eines Befehlshabers den Mitgliedern des schweigsamen Begrüßungskomitees, einschließlich der Kinder, einem nach dem anderen energisch die Hand schüttelte. Dann rief er unverzüglich seine Männer zusammen und befahl ihnen, einen zeremoniellen Fahnengruß zu improvisieren. Seine erste Amtshandlung sollte darin bestehen, die vorhandene Flagge durch jene andere, strahlend neue, von den Nonnen handbestickte zu ersetzen.
    Ehe es soweit war, mussten sie eine Weile warten, weil die Soldaten erst Dutzende von Holzkisten nach der Flagge durchsuchten. Das Ehepaar Arnaud stellte sich

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