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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Verteidigung beschränkte sich auf das Wachehalten vom Leuchtturm aus in Tag- und Nachtschichten, und die Ordnung in der Siedlung hielten Brigaden aus zwei bis drei Mann aufrecht, die ihre Runden drehten. Leicht besorgt über diese Zustände, bemerkte Ramón zu seinem Assistenten Secundino Ángel Cardona:
    »Statt einer Militärgarnison komme ich mir hier vor wie in einer Künstlerkolonie.«
    »Keine Sorge, Hauptmann«, erwiderte ihm Leutnant Cardona, »für die wahre Abwehr sind hier schon die Korallen in Stellung. Wenn ein feindliches Schiff in der Absicht anrückt, hier einzumarschieren, wird es vermutlich am Riff zu Kleinholz geraspelt. Und sollte es ihm doch gelingen, die Absperrung zu durchbrechen, dann feuern wir vom Leuchtturm aus drauflos, bis wir unsere Munition verbraucht haben, die nicht allzu weit reichen dürfte. Wenn sie dann wider Erwarten trotzdem von Bord gehen, dann stellen wir sie im Nahkampf. Und wenn es viele sind, na ja, dann müssen wir eben dran glauben.«
    »Es klingt zwar etwas lächerlich, aber das ist in der Tat der einzig taugliche Kriegsplan, den wir haben«, stellte Arnaud fest. »Wir können es drehen und wenden wie wir wollen.«
    So verlief ihr Leben, erträglich und unaufgeregt, innerhalb dieses Universums von der Größe eines Cent. Ihr Fleiß trug Früchte und ihr Wohlstand bemaß sich an einfachen Dingen. Der bewohnte Teil der Insel glich jetzt nicht mehr einem Elendsquartier und auch nicht mehr einem Scheißhaus. Bald konnten sie die erste Ernte aus dem Gemüsegarten mit einem bunten Salat feiern, von dem jeder etwas abbekam. Als Zutaten waren Kopfsalat, Zwiebeln, Rettich und Mohrrüben drin, und das Dressing war eine von Arnaud zubereitete Mayonnaise nach dem Geheimrezept von Doña Carlota.
    Ihre Routine lief darauf hinaus, die zivilisierte Welt nachzuahmen, und die friedliche Monotonie ihrer Insel war dem Glück gar nicht unähnlich. Eine einzige Erwartung und eine gemeinsame Hoffnung einte sämtliche Bewohner: die Ankunft des Versorgungsschiffes. Seit seiner Abreise waren zwei Monate vergangen, trotzdem entdeckten sie weit und breit keine Spur davon, allerdings bestand noch kein echter Grund zur Besorgnis, schließlich war ja ein dritter Monat als Puffer mit einkalkuliert worden.
    Als sie an einem Nachmittag in Gustavo Schultz’ Hütte saßen und die Abrechnung machten, ließ dieser einen seiner unergründlichen Sätze fallen und Arnaud schnappte mit größter Klarheit einen Namen auf, der ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagte: Robinson Crusoe.
    »Sag dem Deutschen, er soll sich seine hinkenden Vergleiche sparen«, bat er Leutnant Cardona, worauf dieser Schultz mit Grimassen und Gebärden von Arnaud ausrichtete: »Das Einzige, was Crusoe bei sich hatte, als er auf seiner Insel landete, waren ein Messer, eine Pfeife und eine Dose Tabak, verglichen damit geht es uns hier besser als der Königin von Saba.«
    Und ohne die Spur einer Überzeugung, dafür mit einer unüberhörbaren Aggressivität in der veränderten Stimme, fügte Arnaud hinzu:
    »Und sag ihm auch, er soll nicht vergessen, dass wir im Gegensatz zu Crusoe freiwillig hier sind.«
    Aber Secundino Cardona konnte nicht nachvollziehen, wieso sein Vorgesetzter sich die Bemerkung des Deutschen so zu Herzen nahm.

Clipperton
    – 1908 –
    Der Oktober brachte das ersehnte Schiff auch nicht, bescherte ihnen aber stattdessen verheerende Regenfälle, die Clippertons schwächliche Existenz schier auszulöschen drohten. Während der schwersten Niederschläge blieben die tiefsten Teile der Insel stunden- oder tagelang überflutet und die höher gelegenen Abschnitte glichen vorgebirgsartigen Aufschichtungen, ohne Verbindung zueinander.
    Während der anhaltenden Regengüsse wurden sämtliche militärischen Dienste sowie alle Gemeinschaftsaufgaben unterbrochen und jeder zog sich in seine Behausung zurück, um Winterschlaf zu halten. Die über die Ufer getretene Lagune verströmte einen übleren Gestank als der Fuß der heiligen Anna; die Motten breiteten sich aus und nisteten sogar im Kopfhaar; man musste sich in klammen Laken schlafen legen, und die Haut wurde schrumpelig vor lauter Feuchtigkeit.
    Während der Zeit ihrer unfreiwilligen Ausgangssperre teilte Ramón sich seine Arbeitsstunden auf zwischen der fieberhaften Lektüre einer Reihe von Büchern und Dokumenten über den Piraten Clipperton, die er in Branders zurückgelassener Bibliothek gefunden hatte, und dem Schreiben ausführlicher Berichte über die

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