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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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ein und eine Lebensader pulsiert zwischen ihm und seinem Schlupfwinkel.
    Henri Keppel, ein versierter Piratenhäscher, wusste, wovon er sprach, als er sagte, dass sich die Gesetzesbrecher der Meere wie die Spinnen in Ecken und Spalten verkriechen. Und die Insel, die John Clipperton fand, war voller Ecken und Spalten und eignete sich somit vorzüglich zur Heimat für Spinnen und Piraten.
    Beim ersten Blick auf das Atoll war John Clipperton entschlossen: Dieser Ort sollte sein Versteck werden. Kaum sichtbar, abweisend, dazu umschlossen von spitzen Korallen, die ihre Zähne in fremde Schiffe schlagen würden, sobald diese dem Riff zu nahe kamen, wären er und seine Männer in ihren Buchten gut getarnt.
    Dort, wo ihn niemand finden oder auch nur vermuten würde, errichtete er sein Schattenreich und nannte es: Clipperton. Nicht, um dem Ort einen Namen zu geben, sondern um ihn unmissverständlich in Besitz zu nehmen. Das war seine Insel, sie gehörte John Clipperton, Pirat und Gehetzter, einsamer Plünderer, einem Mann mit viel Mut, wenig Liebe und ohne Glauben. Womöglich drang nie bis zu ihm durch, dass der Ort bereits Isla de la Pasión hieß, und wenn er es je erfuhr, dann hat er es wohl als iberische Gefühlsduselei abgetan und nichts darauf gegeben.
    EinweiteresMerkmalmachtedasAtollzumidealenStützpunktfürseineÜberfälle:dieLage.DennausdenBerichtenderDokumentegehteindeutighervor,dassJohnClippertonseinenEinsatzseitJahrenaufeinverlockendesAngriffszielrichtete:dieChinesischeNao,auchbekanntalsSilberflotte.IhreGaleonenreisten,beladenmitdreihundertTonnenkostbarerWaren,vonManilanachAcapulcoundmitweiterendreihundertTonnenvonAcapulcozurücknachManilaundbenutztendievonAndrésdeUrdanetaentdeckteSchifffahrtsstraßedurchdenPazifik,dienurwenigeSeemeilenvorder Isla de la Pasión kreuzte,einUmstand,demsiekeinerleiBedeutungbeimaßen.
    Auf dem Weg nach Mexiko hatten die Manila-Galeonen Damast, Stoffe und Musseline, feine Strümpfe und Schultertücher, Porzellangeschirr der Qing-Dynastie, Tee, Zimt, Nelken, Paprika, Muskatnuss, Safran, Lackarbeiten und Wandschirme im Frachtraum. Auf dem Weg nach Manila – wo die Meeresströmungen sie noch näher an die Insel herantrugen – beförderten sie Schmuckwerk, Gold- und Silberbarren, Kaffee, Kakao, Vanille, Zucker, Saatgut, Tabak, Indigopflanzen, Agaven, geflochtene Palmhüte und -teppiche. Manchmal reisten Passagiere mit, die sich für Entführungen anboten – Beamte, Ordensleute, Adelsdamen, Militärs –, und deren Freilassung später von der Insel Tortuga aus verhandelt wurde.
    Eine Chinesische Nao anzugreifen, war ein gefährliches, wagemutiges Abenteuer. Um sich vor den Überfällen der Korsaren zu schützen, war sie nämlich im Verband mit je vier Schiffen unterwegs – zwei Galeonen und zwei leichte Zweimaster, Patache genannt –, mit der Doppelfunktion als Handelsschiffe und als Kriegsschiffe. Diese Wasserfahrzeuge waren bis an die Zähne bewaffnet mit Kupferkanonen, den dazugehörigen Kanonieren und dem Waffenarsenal für die Besatzung. Sie kapern zu wollen, war eine Aufgabe für Selbstmörder. Oder für Experten, wie Kapitän John Clipperton.
    Viele Tage und Nächte lag Clipperton in seinem Hinterhalt auf der Lauer und überwachte ihr Vorrücken, dabei kaute er amerikanischen Tabak und spie bittere Fontänen aus. Wenn ihm dann seine Nase sagte, dass der Augenblick gekommen war – denn es heißt, er habe Edelmetalle auf mehrere Meilen Entfernung riechen können – , stürzte er los und enterte die Schiffe, indem er ihnen den Weg abschnitt.
    Nach jedem Überfall nahm seine Insel ihn bereitwillig wieder auf. Manchmal kehrte er verletzt und niedergeschlagen an ihre finsteren Strände zurück, mit einem zerstörten Schiff und einer dezimierten Mannschaft, andere Male lief er sie unter Siegesrufen an, auf einer mit Beute prall gefüllten Cinq-Ports . Sobald das Kapergut ausgeschifft war, erfolgte als Orgie und begossen mit Strömen von Alkohol die Verteilung der Schätze. Da er großen Wert auf Gerechtigkeit legte, teilte er jedem die gleiche Anzahl an Goldgegenständen zu und übte als Hauptmann nur das Vorrecht aus, die schönsten Gold- und Silberschmiedearbeiten aus dem Schatz für sich zu behalten. Was das anging, so hatte er eine Vorliebe für behäbige, mit Edelsteinen besetzte Barockkelche. Und die reizten ihn weniger wegen ihres Werts als um des genussvollen Sakrilegs willen, daraus Kokosmilch mit Antillen-Rum zu trinken.
    Clippertons Wölfe streiften die Seidenhemden und

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