Die Insel der Verlorenen - Roman
auf dich warten werde, auch wenn ich eine ganze Woche im Hafen stehen muss.
Endlich soll sich erfüllen, was ich all die Jahre tagtäglich ersehnt habe. Ich werde dich wiedersehen – dich, Ramón und meine Enkelkinder – und mit euch zusammen sein, endlich, ohne dass wir einen neuen Abschied fürchten müssen.
Ich habe Oberst Avalos gesucht, um ihm die Dringlichkeit eurer Lage vorzutragen, aber er befindet sich nicht mehr in Acapulco. Er ist versetzt worden, wohin, das habe ich nicht herausbekommen. Jetzt ist Oberst Luis Griviera Befehlshaber des Bezirks, der gestand, dass er wegen der Niederschlagung der Aufstände derzeit außerstande sei, Schiffe nach Clipperton zu senden. Er war der Meinung, dass es das Beste wäre, wenn ihr mit der Cleveland zurückkommt und die Gastfreundschaft ihres Kapitäns in Anspruch nehmt, der euch diesen Dienst gerne erweist. Um ehrlich zu sein hat Oberst Griviera auf mich den Eindruck gemacht, als wäre er zu sehr damit beschäftigt, die eigene Haut zu retten, als dass er sich um die anderer kümmern könnte.
Ich habe auch nicht selbst mit den drei holländischen Matrosen sprechen können, die mit Nachrichten von euch hier im Hafen eingetroffen sind, aber mir ist zu Ohren gekommen, dass sie berichtet haben, es wären nur noch Vorräte für drei bis vier Tage auf der Insel. Ich flehe zu Gott, dass sie nicht aufgebraucht sind ehe die Lebensmittelkisten vom britischen Konsul euch erreichen.
Ich schreibe in großer Eile, denn erst vorgestern habe ich die Neuigkeit erhalten. Ich habe mich daraufhin unverzüglich von Salina Cruz nach Acapulco auf den Weg gemacht, wo mir die oben erwähnten Erkundigungen keine freie Minute gelassen haben. Das nordamerikanische Schiff, das diesen Brief für dich mitnimmt und versprochen hat, euch hier in diesen Hafen zurückzubringen, legt in wenigen Minuten ab. Somit spare ich mir jetzt Ausführungen über die Lage hier im Land. Dafür haben wir bald Zeit genug (auch wenn alle Zeit der Welt nicht zu reichen scheint, um all die verschiedenen so chaotischen Ereignisse zu verstehen). Vorab schicke ich dir nur ein paar Zeitungsausschnitte über den nordamerikanischen Einmarsch in Veracruz. Er löste im ganzen Land Empörung aus, und ich wage sogar zu behaupten, auf dem ganzen Kontinent. Ich finde, dass Ramón darüber Bescheid wissen sollte, zumal es Landsleute aus der Flotte des Eindringlings sind, die euch hierherbegleiten werden. Was die persönlichen Absichten von Kapitän Williams angeht, so glaube ich indes, dass sie humanitär und lauter sind. Wie auch immer, jedenfalls halte ich es für dringend geboten, dass ihr mit ihm zurückkommt, denn die Chance, dass ein mexikanisches Schiff nach Clipperton hinausfährt, schwindet unter den gegebenen Umständen zusehends.
Mein Herz wird Kräfte aufbieten, über die es nicht verfügt, um das Warten auch noch die letzten Tage auszuhalten, bis du wieder hier bist. Dein Vater.
»Augenblick mal«, sagte Ramón, als sie die Lektüre beendet hatte. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Ich habe an die Behörden geschrieben, und es antwortet dein Vater. Ich bitte sie um ein mexikanisches Schiff, und es kommt eins von den Gringos. Einmarsch in Veracruz?! Gib mal die Zeitungsausschnitte.«
Sie verschlangen die von Don Félix mitgeschickten Zeitungsartikel und erfuhren so, dass offiziell immer noch General Huerta an der Macht war, allerdings ohne Rückhalt im Land, das in den Händen der Revolutionäre war, und ohne Rückhalt bei den Nordamerikanern, die im Hafen von Veracruz einmarschiert waren. Am 7. April hatten sich die Ereignisse überschlagen. Ein Offizier und sieben Männer waren vom nordamerikanischen Seekreuzer Dolphin in Tampico an Land gegangen, um Treibstoff zu besorgen. Kaum hatten sie mexikanischen Boden betreten, da wurden sie von Huertas Beamten festgenommen. Zwei Stunden später setzte ein mexikanischer General sie wieder auf freien Fuß, bedauerte den Irrtum und entschuldigte sich dafür. Präsident Wilson verlangte zur Wiedergutmachung, dass Mexiko die nordamerikanische Fahne hissen und mit einer Salve von 21 Kanonenschüssen grüßen sollte. General Huerta gab ihm daraufhin zur Antwort: Mexiko werde gerne die Ehrensalve abfeuern, wenn die Vereinigten Staaten der mexikanischen Flagge die gleiche Ehre erwiesen. Worauf Wilson die seit langem geplante, bewaffnete Invasion anordnete, indem er seine Kriegsflotte in mexikanische Gewässer schickte. Am 21. April besetzten die Marines den Zoll von Veracruz.
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