Die Insel der Verlorenen - Roman
einmarschiert sind, in Clipperton ist kein Mensch einmarschiert … «
»Aber wir wissen nicht, was noch kommt.«
»Stimmt … Na ja, wenn sie kommen, können wir im Grunde auch nicht viel tun.«
»Wir können für das Vaterland sterben, wie die in Veracruz.«
»Ein Hundeleben ist das … «
»Da hast du recht, könnte besser sein.«
Sie blieben eine Weile schweigend beieinander sitzen, bis Arnaud sich erhob.
»Allerdings versteht es sich von selbst«, begann er wieder, »dass dein Zustand als Schwerverletzter dich in eine Ausnahmesituation versetzt, und die ist völlig anders als meine. Wir können dich hier nicht richtig versorgen, deshalb ist es dein gutes Recht, nach Hause zu fahren, damit du eine ordentliche Behandlung bekommst. Wenn du gehst, dann halte Mexiko die Treue, deiner Soldatenpflicht, mir und überhaupt allen.«
Leutnant Cardona brauchte nicht lange nachzudenken.
»Kannst du dich noch erinnern, was du beim Orkan zu mir gesagt hast, als wir in dem Loch lagen?«, fragte er. »Beide lebendig oder beide tot. Genau das hast du gesagt. Es hat damals gegolten und es gilt auch jetzt. Wenn du hierbleibst, bleibe ich auch.«
»Los, schlag ein.«
»Da.«
»Ich muss zu Alicia«, sagte Arnaud und ging zur Tür. »Sie hat sich noch nie beschwert, und heute, wo sie es getan hat, da habe ich sie einfach stehenlassen.«
Im gleichen Moment tauchte Feldwebel Irra auf. Er hatte Arnaud überall auf der Insel gesucht. Er machte Meldung, dass der Kapitän der Cleveland den Hafenkapitän sehen wolle, um ihm die Lebensmittel auszuhändigen; dass er gesagt habe, er hätte Befehl vom englischen Konsul, Gustavo Schultz mit nach Acapulco zu nehmen, wenn der einverstanden wäre; dass Jens Jensen und die Holländer sich verabschieden wollten.
»Kümmere du dich darum, zur Cleveland zu gehen und die Vorräte in Empfang zu nehmen«, sagte Arnaud zu Cardona, »und sag dem Kapitän, dass ich später vorbeischaue und ihm meinen Pflichtbesuch abstatte.«
»Ich komme kaum von der Stelle, Ramón.«
»Dann lass dich hintragen.«
»Aber, hör mal, musst du nicht selber hingehen? In welcher Sprache soll ich mich denn mit ihm unterhalten?«
»Du kriegst das schon hin. Ich muss jetzt jedenfalls mit Alicia reden, selbst wenn die Welt untergeht.«
»Und was machen wir mit Schultz, Herr Hauptmann?«, fragte Irra, der auf Befehle wartete. »Sollen wir ihn losmachen oder gefesselt hinführen?«
»Machen Sie ihn los, Irra, dann werden wir ja sehen, was passiert. Wenn er sehr nervös wird, dann verdreifachen Sie die Dosis Passionsblume, aber sorgen Sie dafür, dass er an Bord der Cleveland geht«, sagte Arnaud und kümmerte sich nicht weiter um die Angelegenheit.
Gustavo Schultz und Altagracia Quiroz hatten auf der anderen Seite von Clipperton das Schiff nicht kommen sehen und keine Ahnung, was vor sich ging. In der Seifenblase, in der sich die beiden ihr Paradies gebaut hatten, war alles unverändert und unwandelbar. Mitten in seiner Umnachtung hatte Schultz nämlich genügend Klarheit besessen, um zu begreifen, dass dieses sanfte, hässliche Kind ein Grund war, sich mit der Vernunft zu versöhnen und an die Wirklichkeit zu klammern, und dem Mädchen verdankte er, dass er sich zum ersten Mal im Leben nicht einsam fühlte.
An diesem Tag währte sein lauwarmes Bad zwei Stunden und endete, wie es das Ritual vorsah, das sie daraus entwickelt hatten, mit dem Liebesakt. Sie lagen friedlich beieinander, der Deutsche hatte Altagracia im Arm, deren Kopf an seiner Schulter ruhte und ließ sich von ihrer Haarpracht besänftigen.
»Ich werde jedes einzelne Haar auf deinem Kopf zählen«, sagte er zu ihr, »und jeden Tag von vorn anfangen, um mich zu vergewissern, dass keines fehlt.«
Sein Herz war ruhig, sein Körper entspannt, und die frische Brise der Passatwinde blies die Überbleibsel seiner alten Ängste davon.
»Der Irre vergewaltigt das Mädchen!«
Ein Schrei wie von einem Wahnsinnigen zerbrach die wohlige Stille in tausend Stücke. Ehe Schultz sich erheben konnte, fielen Irra und weitere drei Männer über ihn her, und malträtierten ihn mit Fäusten und flachen Händen.
»Du widerlicher Gringo, lass das Mädchen los!«, schimpften sie.
Altagracia erschrak wie ein kleines Tier und floh in die Hütte. Durch die Ritzen der Bretterwand sah sie, wie sie ihm die Hände fesselten und ihn vorwärtsstoßend und an der Kette ziehend abführten.
Sie überwand ihre Angst und lief hinterher.
»Wo bringt ihr ihn hin?«
»Ein Kreuzer ist
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