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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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zu widerrufen. Aus dem Augenwinkel sah er die kubanische Zigarre, die ihm Williams anbot. Es war eine Flor de Lobeto, mit einem herrlichen Aroma. Monate waren vergangen, seit er eine solche Köstlichkeit zu Gesicht bekommen hatte. Er hätte seinen kleinen Finger hergegeben, diese Havanna zu rauchen. Aber er log:
    »Eine Havanna, nein, danke. Ich habe vorhin eine geraucht.«
    »Wie Sie möchten«, hörte er den anderen sagen.
    Die Zeit zerrann in Arnauds Kopf, und die Minuten zogen sich mit einer gummiartigen, abscheulichen, unerträglichen Elastizität in die Länge. Wie … Sie … möchten … Zwischen einem Wort und dem nächsten verging ein Jahrhundert, indes seine einzige Überlebenschance gerade verpuffte, sich verflüchtigte, langsam zum Himmel aufstieg wie der Rauch der Zigarre, die sich Williams angezündet hatte.
    Mit einem Mal nahm die Zeit wieder Fahrt auf. Ganz tief im Magen des mexikanischen Hauptmanns erwachte ein unverhofftes Kitzeln, eine unaufhaltsame Lust zu leben, die ihn veranlasste hinzuzufügen:
    »Allerdings, Kapitän Williams, da es sich um eine Entscheidung handelt, die meine Soldaten ebenso betrifft, möchte ich Sie um ein wenig Zeit bitten, damit ich mit ihnen sprechen kann, ehe ich Ihnen die endgültige Antwort gebe.«
    »Selbstverständlich, Herr Hauptmann, überlegen Sie und besprechen Sie sich.«
    Williams zog an der Kette seine Taschenuhr heraus.
    »Ich kann ohne weiteres noch eine Stunde warten, ehe wir auslaufen«, sagte er.
    Sie verabschiedeten sich. An Deck stieß Ramón auf Jens Jensen, seine Frau Mary, die durchsichtiger war denn je, und die anderen Holländer. Sie umarmten sich und wünschten sich Glück.
    Im Ruderboot, das ihn zurück zum Kai brachte, atmete Arnaud tief durch, lehnte sich auf seiner Bank nach hinten, gestattete sich ein Lächeln und dachte: Eine Invasion, ein Bürgerkrieg und ein Weltkrieg sind im Gange, und ich hocke hier auf meiner entlegenen Insel und zerbreche mir den Kopf darüber, ob man Tölpeleier besser zu Spiegel- oder zu Rührei verarbeitet.«
    Es war nachmittags, fünfzehn Uhr fünfundfünfzig. Vor sechzehn Uhr fünfundfünfzig würde er die schwerwiegendste Entscheidung seines Lebens zu treffen haben.
    Als er wieder an Land war, sagte er zu Cardona:
    »Der Weltkrieg ist ausgebrochen. Oder ist kurz davor. Frag mich nicht nach Einzelheiten, weil ich keine weiß, ich habe nicht nachgefragt. Ich wollte dem Gringo nicht die Genugtuung lassen, zuzugeben, dass ich nicht auf dem Laufenden bin. Wir werden schon noch erfahren was los ist, sobald ein mexikanisches Schiff kommt.«
    »Wenn wir so lange warten wollen, dann werden wir vermutlich beides gleichzeitig erfahren: wer ihn erklärt und wer ihn gewonnen hat.«
    Arnaud und Cardona gingen die anderen Soldaten und ihre Familien holen und ein paar Minuten darauf tauchte Leutnant Irra mit Gustavo Schultz auf, den er am Arm führte. Halb schlaftrunken, halb benommen von der dreifachen Dosis Passionsblume, kämpfte der Deutsche gegen eine verworrene, schillernde, unbeständige Welt. Durch Schleier und Nebel ahnte er, dass irgendein Unglück unmittelbar bevorstand, aber er vermochte nicht zu sagen, welches. Seine Agonie verschwamm zu einer vagen, namenlosen Empfindung. In seinem Kopf drehte sich alles, er hielt inne, er stürzte ab, er fiel in eine schmerzhafte, verworrene Tiefe. Seine Beine bewegten sich stolpernd vorwärts, sein Mund sagte Ungereimtheiten, seine Hände schlugen ungeschickt nach Leutnant Irra.
    Hinter ihnen trottete Altagracia Quiroz. Sobald er sie erblickte, setzte Schultz die Bruchstücke seines Wahns zu einem Ganzen zusammen. Er befreite sich mit einem festen Schlag aus Irras Griff und schloss Altagracia in die Arme. Auch ohne seine eingeschläferte, breiige Zunge in der Gewalt zu haben, bat er sie mit Worten, die von ganz tief innen kamen:
    »Komm mit mir, Altita.«
    »Ich kann nicht mit, Blonder. Ich wünschte ich könnte. Ich bin mit der Señora Alicia gekommen und muss bei ihr bleiben.«
    Leutnant Irra kam wieder zu sich, packte Schultz erneut am Arm und schubste ihn roh ins Ruderboot, wo zwei Soldaten auf ihn warteten, die ihn zur Cleveland übersetzen sollten.
    Das Boot entfernte sich. Seinem Schwindel und dem schaukelnden Untergrund trotzend, richtete er sich zu seiner vollen Größe auf.
    »Ich komme wieder und hole dich, Altagracia«, schrie er. »Das schwöre ich dir. Das schwöre ich dir. Ich hole dich hier raus und heirate dich. Ich schwöre es!«
    Das Meer war grau, der Himmel

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