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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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hinausgezögert hatte, genau deshalb, weil es ihn wider Willen beeinflussen würde. Kaum zwei Minuten dort, wünschte er schon, trotz der Liebenswürdigkeit von Williams, die Begegnung keine Sekunde länger als unbedingt nötig auszudehnen.
    ArnaudbedanktesichfürdieKistenmitdenVorräten,undWilliamserkundigtesichnachGustavoSchultz.Ramón,derdenDeutschenvölligvergessenhatte,erklärte,dassseineSoldatenihnschonzumKreuzerbrächten,dasserernsthaftementaleStörungenhabe,dassereinsonderbarerMannsei,dasserdurchgedrehtseiunder,Ramón,esfürangemessengehaltenhabe,ihmvorderAbreiseeinSedativumzuverabreichen.ErmachteSchultzschlecht,machtevieleWorte,bedientesichzuvielerAdjektiveundbereutees,alsersah,mitwelchunbeeindruckterundunparteiischerMieneWilliamsihmzuhörte.
    Indem er die Namen von einem Zettel ablas, fuhr Williams fort, Leutnant Cardona habe ihm mitgeteilt, dass die Frauen Daría und Jesusa – schon an Bord – als Frau und Tochter von Herrn Schultz mitkämen.
    »Ja, so ist es, das sind seine Frau und seine Tochter«, antwortete Arnaud wie aus der Pistole geschossen, um eine Sekunde darauf den Fauxpas zu bemerken. Er verstand den Grund für Williams’ Frage, als die beiden Frauen klar und deutlich und ganz realistisch vor seinem geistigen Auge erschienen, wie sie sich Arm in Arm mit ihren beiden holländischen Geliebten einschifften. Arnaud stieg die Röte ins Gesicht.
    »Also, ja, so in etwa«, stammelte er und ihm fiel keine passende Erklärung ein.
    »Kein Problem, Herr Hauptmann, ich verstehe schon«, kam ihm Williams zu Hilfe, um die Situation zu retten, »eine rein bürokratische Frage.«
    Der Ausrutscher mit Daría und Jesusa, den er nicht einkalkuliert hatte, brachte Ramón in eine geschwächte Ausgangsposition. Denn er wusste wohl, dass er das Schlimmste noch vor sich hatte. In offenherzigem Ton wiederholte Williams sein Angebot, ihn mit seiner Familie und die übrigen Bewohner von Clipperton mitzunehmen nach Mexiko. Jensen habe ihm von seiner Gastfreundschaft und Großzügigkeit, trotz der knappen Vorräte, berichtet. »Wer sich so verhält«, so Williams, »dem soll Gleiches mit Gleichem vergolten werden.«
    »Ich danke Ihnen sehr«, sagte Arnaud, »aber meine Vorgesetzten haben mir nicht Befehl erteilt, die Stellung zu räumen.«
    »Ihre Vorgesetzten sind ja noch nicht mal imstande, sich selbst Befehle zu erteilen«, entgegnete Kapitän Williams mit nachsichtigem Lächeln. »Die Bundesarmee ist in die Flucht geschlagen worden … «
    Arnaud fühlte den Finger in der Wunde. Sein Missbehagen war offensichtlich, und Williams ruderte zurück.
    »Das ist selbstverständlich nur meine persönliche Meinung«, lenkte er ein. »Sie dürfen das nicht falsch verstehen.«
    Ramón Arnaud ließ sich mit der Antwort Zeit, weil er jedes seiner Worte gut überlegen und genau abwägen wollte. Endlich begann er:
    »Die derzeitige Lage der öffentlichen Ordnung macht es General Huerta nicht gerade leicht, und die willkürliche Invasion Ihres Landes macht es meinem Land nicht gerade leicht. Dies sind zwei schwerwiegende Gründe, weshalb ich meine Stellung hier nicht aufgeben kann.«
    »Alles hat sich verändert, seit Sie hier sind. Alles. Und damit meine ich nicht nur die innere Lage Mexikos, ich spreche von dem Krieg.«
    »Sie meinen den Krieg zwischen meinem und Ihrem Land?«
    »Nein, Hauptmann Arnaud. Ich meine den Krieg, der zwischen der einen und der anderen Hälfte der Welt auszubrechen droht. Ich nehme an, dass Sie darüber Bescheid wissen.« Williams sah ihn fragend an und hielt ihm gleichzeitig eine kubanische Zigarre hin. »Greifen Sie zu.«
    Ramón spürte, wie ihm der Boden unter den Füßen wegrutschte. Die Nachricht traf ihn wie die Explosion einer Granate. Das war zu viel. Um was für einen Krieg ging es? Um was für eine Welt? Wieso sollte der ausbrechen? Zu welcher Hälfte hielt Mexiko? Er kam fast um vor Verlangen, es sofort zu erfahren, das Herz hämmerte ihm in der Brust wie ein durchgegangenes Pferd. Er musste seinen ganzen militärischen Stolz, seine ganze Willenskraft zusammennehmen, um zu lügen:
    »Selbstverständlich, Kapitän Williams. Ich weiß bestens Bescheid über den bevorstehenden Krieg. Aber das tut meiner Entscheidung keinen Abbruch.«
    Der Satz hallte in seinem Kopf wider: »Aber das tut meiner Entscheidung keinen Abbruch.« Arnaud fühlte, dass er die letzte Tür zuschlug, dass er Selbstmord beging, dass er seine Männer, seine Frau, seine Kinder zum Tode verurteilte. Aber er ertrug es, ohne

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